Die Ehre der Slawen
von Thietmar kullerte ein abgetrenntes Haupt über den Boden, knapp fünf Schritte weiter landete ein Arm im Laub, dessen Hand immer noch einen gesplitterten Speerschaft fest umklammert hielt.
Thietmar nahm dies alles wie im Traume wahr. Sein junger Geist weigerte sich einfach, die vielfältigen Grausamkeiten aufzunehmen. Wie betäubt erhob er sich und presste immer noch fest seine Hände auf die Ohren. Nur fünf Schritte weiter knieten die Mönche und streckten flehend ihre Arme gen Himmel.
»Vater unser, der du bist im Himmel, …«, drang es wie durch einen Wattebausch an Thietmars Ohren. Das Schmettern der aufeinandertreffenden Waffen, das Dröhnen der Schilde, wenn sie einen Schlag parierten, die Schreie der Verwundeten, das Brüllen der Kämpfenden - all dieser grauenvolle Schlachtenlärm ließ sich selbst durch die zugehaltenen Ohren nicht aufhalten.
Bei: »… dein Wille geschehe, …« blickte Thietmar unwillkürlich nach oben und wartete verzweifelt auf ein Zeichen des himmlischen Vaters. Warum ließ der liebe Gott nur diese schlimmen Taten zu? Warum all diese Grausamkeiten?
Indes, Thietmar wartete vergebens.
Ein verirrter Pfeil sauste an Thietmar vorbei und traf einen der betenden Mönche mitten in die Brust. Ungläubiges Erstaunen zeichnete das Gesicht des Getroffenen. Ganz langsam senkte sich sein Kopf nach unten, und als seine Augen den Pfeil erreicht hatten, kippte sein Körper langsam zur Seite und blieb bewegungslos im Gras liegen. Der erstarrte Blick des Mönches sah genau in Thietmars Richtung.
Sekundenlang konnte der kleine Junge seinen Blick nicht von den Augen des Toten lösen. Zu tief saß der Schock, als dass er etwas Vernünftiges zustande gebracht hätte. Der Schlachtenlärm rings um ihn versank in den Hintergrund und hinterließ nur ein dumpfes Rauschen in seinen Ohren. Es kam ihm so vor, als ob er plötzlich nicht mehr mitten zwischen den Kämpfenden stand, sondern alles wie aus weiter Ferne betrachtete. Er stand aufrecht und allein, zwischen all den um ihr Leben Ringenden, starr und steif, als ob ihm dieser verfluchte Kampf überhaupt nichts anhaben könnte. War alles etwa nur ein schlimmer Traum? War dies das erstrebenswerte Leben eines edlen Ritters?
Ein Gedanke wurde im jungen Knaben geboren, der sein ganzes weiteres Leben nachhaltig beeinflussen sollte. Nie und nimmer nähme er jemals ein Schwert in die Hand, um es gegen einen anderen Menschen zu erheben.
Die toten Augen des Priesters blickten immer noch unverwandt in seine Richtung, als sich der Schlachtenlärm wieder langsam in sein Bewusstsein hineinfraß. Völlig unverhofft sprang plötzlich ein wendischer Krieger in Thietmars Blickfeld. Eine schwere Bartaxt mit beiden Händen zum Schlag erhoben starrte er irritiert den kleinen Jungen an. Was bei allen Göttern hatte dieses Kind hier zu suchen?
Stumm erwiderte Thietmar den erstaunten Blick des wendischen Kriegers. So, wie dieser Heide vor ihm stand, so groß, mit kräftigen Armen und breiten Schultern, bot er eine imposante Erscheinung, die in nichts den edlen Rittern nachstand. In seinen hellen Augen flackerte kurzzeitig ein freundliches Leuchten auf, auch wenn es von einer hektischen Unstetigkeit begleitet wurde. Thietmar begann den fremden Krieger anzulächeln und dieser lächelte zurück. Die starken Hände des Wendenkriegers, in denen die Furcht einflößende Axt lag, senkten sich. Für einen winzigen Augenblick herrschte ein tiefes Einvernehmen zwischen beiden. Thietmars Lächeln wurde breiter. Er wusste, dass dieser Mann ihm niemals etwas zuleide tun würde.
Dann war der kurze Moment des stummen Friedens vorbei. Eine Gruppe von fünf gepanzerten Kämpfern erschien in Thietmars Gesichtsfeld und ging sofort gegen den wendischen Hünen vor. Geschickt parierte dieser mit seiner Axt die ersten Schwertstreiche, bevor er von den Angreifern eingekreist wurde. Der ungleiche Kampf währte nur kurz. Gegen diese Übermacht hatte der große Wende nicht die Spur einer Chance. Ein langes Schwert bohrte sich mit Macht in seinen Rücken, durchstieß den Körper und ragte aus der Brust wieder heraus. Augenblicklich erstarrte der Bauernkrieger mitten in seiner Bewegung. Zögerlich, dann jedoch mit Gewalt, sammelte sich sein Lebenssaft in der Blutrinne des Schwertes, bevor es in Strömen herabfloss.
Thietmar hatte seinen Mund vor Entsetzen weit aufgerissen, aber der Schrei, den er ausstoßen wollte, blieb ihm im Halse stecken. Ungläubig sah er zu, wie der
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