Die Ehre der Slawen
und riss sie nieder. W ie ein einziges Knäuel rollten alle drei über den weichen Boden, bis sie inmit ten eines stacheligen Beerenstrauches zum Stillstand kamen.
Benommen und völlig außer Atem blieben alle drei für Augenblicke bewegungsunfähig liegen. Ihre Brüste hoben und senkten sich keuchend, wie die Blasebälge in einer Schmiede. Noch auf dem Rücken liegend wischte sich Paddie mit den Handballen den Schweiß aus den Augen und blinzelte erstaunt zu dem kleinen Jungen hinüber, der sich wieder aufzurappeln versuchte. Je länger er den schmächtigen Knirps betrachtete, umso erstaunter wurde er. Ein weites, fein gewebtes Hemd hing zerfetzt um seinen hageren Oberkörper. Seine knielange Hose war am rechten Bein der Länge nach aufgerissen. Die Strümpfe waren mit Dreck verschmiert und voller Löcher. An seinem linken Schuh hatte sich eine Naht gelöst, sodass vorn die Zehen herausschauten.
Wieso trägt der Fremdling mitten im Sommer Schuhe und sogar noch Strümpfe dazu? , wunderte sich Paddie, als sich sein Blick mit dem des kleinen Jungen kreuzte. Was er in den Augen des anderen las, ließ ihn augenblicklich zusammenfahren. Unstet, nervös und von wahnsinniger Angst gezeichnet pendelte der Blick des Jungen hektisch zwischen ihm und Rapak hin und her, ohne ein festes Ziel zu finden.
Wie ein Rehkitz, das den Wolf wittert , fand Paddie ein zutreffendes Gleichnis.
Der Fremde war über ihren Zusammenprall wohl genauso überrascht wie die zwei Freunde selbst, denn er war durch den Schreck regelrecht gelähmt. Vorsichtig schob Paddie sich aus den stachligen Ranken und warf einen kurzen Blick zu Rapak hinüber, der genauso verblüfft den kleinen Jungen musterte.
»Wer um alles in der Welt bist du denn? Woher ...?«, konnte Paddie gerade noch fragen, als aus der Ferne ein durchdringender röhrender Ton durch den Wald hallte. Den Göttern sei Dank! Bikus hatte es also rechtzeitig geschafft und noch vor ihnen das Dorf erreicht. Der tiefe, lang gezogene Ton war nichts anderes als das Signalhorn der Burg, das die Bewohner vor einem bevorstehenden Überfall warnen sollte.
Im Gesicht des fremden Jungen fand infolge des Hornsignals eine erschreckende Veränderung statt. Sämtliches Blut war ihm entwichen. Die Wangen nahmen die Farbe kalter Asche an und seine Augen verdrehten sich wie die eines Schwachsinnigen.
»Nein, nein, nicht …«, stammelte der Knirps, hantierte hektisch und mit zitternden Fingern an seinem Gürtel und hielt gleich darauf einen kleinen spitzen Dolch in der Hand. Eine unglaubliche Angst vor den tiefen Hornsignalen, die seinen Augen eine albtraumhafte, grausame Schlacht vorgaukelten, mobilisierte ungeahnte Kräfte. Wie eine Wildkatze sprang er urplötzlich mit vorgehaltenem Dolch auf Paddie zu, der ihm am nächsten stand. Eher aus Reflex als mit vollem Bewusstsein hob der erschrockene Paddie seinen linken Arm zur Abwehr, die Hand zur Faust geballt. Blind vor Angst rannte der kleine Junge mit der Nase dagegen, dass es laut knackte.
Paddies zufälliger Faustschlag saß. Von der Wucht des Treffers abgebremst überschlug sich der Knabe, kullerte noch ein paar Meter weit über den Boden und landete abermals in den stachligen Ranken. Dort blieb er bewegungslos liegen und starrte mit verdrehten Augen in die Wipfel der Bäume. Sein Dolch beschrieb einen kurzen Bogen und landete, mit einem leisen Klacken, in einem der dicken Baumstämme.
»Was …, was war denn das?«, stotterte Rapak.
Sein Blicke ruhten verständnislos auf Paddie, wanderten zu dem kleinen Jungen hinüber und blieben schließlich auf den im Baum steckenden Dolch haften.
Paddie zuckte nicht verstehend mit den Schultern und massierte vorsichtig seine wie Feuer brennenden Finger.
»Mann, Paddie, du hast ja einen Faustschlag wie ein Schmiedehammer!«, stellte Rapak verblüfft fest.
»Aber …«, Rapak kratzte sich am Hinterkopf, »kannst du mir vielleicht verraten, warum der Knirps mit einem Messer auf dich losging? Du hast ihm doch nichts getan, oder habe ich da etwas verpasst?«
Paddie, ebenso ratlos, wedelte mit der schmerzenden Hand und versuchte vorsichtig die Finger zu bewegen.
»Vielleicht …, ich weiß auch nicht so recht …, aber vermutlich ist der Kleine vor Angst wahnsinnig geworden.«
»Angst? Vor wem oder was soll er denn Angst haben? Etwa vor uns?«
»Keine Ahnung«, gestand Paddie, »aber sieh ihn dir doch an! Der Knirps ist wahrscheinlich tagelang allein durch den Wald geirrt. Und
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