Die Ehre der Slawen
Zählen auf über fünfmal zehn kamen, resignierten sie.
Der fremde Junge wurde plötzlich unruhig und begann stöhnend zu erwachen. Schnell drückte Rapak ihn zu Boden und hielt ihm vorsichtshalber den Mund zu. Da die vorbeiziehende Armee jedoch einen höllischen Lärm verursachte, war diese Vorsichtsmaßnahme überflüssig. Jedoch, man konnte nie wissen und in die Hände dieses gewissenlosen Kriegers wollten sie auf keinen Fall gelangen. Lange, nachdem die ersten Reiter ihren Blicken entschwunden waren, folgten endlich die letzten Nachzügler. Einige von ihnen trugen weiße Kopfbinden als auch Arm- oder Beinschienen, was ihren Kampfeswillen allerdings kein bisschen zu dämpfen schien. Dann kehrte im Wald allmählich wieder Ruhe ein und das aufgewirbelte Laub sank langsam zu Boden.
Rapak ließ den fremden Jungen los, der sofort mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht seine gebrochene Nase befühlte. Vorwurfsvoll und unendlich traurig blickte er die beiden großen Slawenjungen der Reihe nach an, sagte aber keinen Ton. Dicke Tränen kullerten langsam über seine Wangen und hinterließen im vom Staub verschmierten Gesicht helle Steifen.
»Na, na, wer wird denn da weinen?«, versuchte Paddie beruhigend auf ihn einzuwirken.
Der kleine Junge schüttelte jedoch nur zaghaft den Kopf.
»Willst du uns nicht verraten, wie du heißt und woher du kommst?«, hakte er nach, ohne zu wissen, ob der Knirps überhaupt die Sprache der Slawen verstehen konnte.
Rehbraune, tränenfeuchte Augen musterten Paddie misstrauisch, bevor nach einer geraumen Weile ein vorsichtiges Nicken folgte.
»Mein Name ist Thietmar«, flüsterte der verzweifelte Knirps schließlich - in reinstem Moriczer Dialekt.
»Thietmar von Walbeck«, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu.
»Hm …«, bemerkte Paddie nachdenklich, »Walbeck …, noch nie von gehört. Aber das macht ja nichts. Thietmar, ich bin Paddie und der Lange da«, er wies mit der Hand in die bezeichnende Richtung, »das ist mein Freund Rapak.«
Fast schien das Eis gebrochen, als von Weitem zwei kurz aufeinanderfolgende Hornsignale durch den Wald hallten.
»Sie haben unsere Siedlung erreicht«, bemerkte Rapak, während Thietmar erneut am ganzen Körper heftig zu zittern begann und sein Blick unstet durch die Gegend streifte.
»Nur ruhig bleiben, kleiner Thietmar«, redete Paddie sanft auf den Knaben ein, »wir sind ja bei dir und werden dich schon zu schützen wissen.«
Voller Angst schauten die schimmernden Kinderaugen in seine Richtung.
»Ich glaube«, vermutete Paddie, »du wirst uns wohl noch eine Menge erzählen müssen.«
»Hmm«, brummte Rapak, »vorerst haben wir aber noch ganz andere Sorgen.«
Paddie richtete sich leicht auf und spähte durch die Büsche: »Wenn ich nur wüsste, was da jetzt los ist.«
*
Kapitel 14
Zwei mal zehn Reiter, Schulter an Schulter in einer geordneten Zweierreihe galoppierend jagten über die offene Wiese. Ihr Ziel war die friedliche kleine Siedlung, die sich größtenteils hinter einem Hügel verborgen hielt. Die Abendsonne stand bereits tief über den Palisaden, die das Dorf einfassten, und ließ dessen Konturen in einem Gemisch aus Licht und Schatten verblassen.
Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für einen offenen Angriff, denn die Reiterschar war in Vorausrichtung geblendet. Es war aber auch jene Zeit, in der die müden Bauern normalerweise von ihren Feldern heimzukehren pflegten und Fuhrwerke jeglicher Art langsam durch das weit geöffnete Tor rollten.
Auf diesen Umstand basierte Udos Taktik. In seiner Verschlagenheit hatte er die geringe Anzahl seiner Begleiter wohl durchdacht. Seine kleine Truppe war schlagkräftig genug, um für eine Weile das Tor besetzt zu halten, aber nicht zu groß, um seine Absicht sofort erkennen zu lassen. Der Großteil seiner Streitmacht hielt sich im dichten Waldesrand verborgen. Dort saßen die Blutknechte kampfbereit auf ihren Pferden und warteten auf das verabredete Zeichen.
Kurz vor dem Ziel angelangt mussten die heranpreschenden Reiter jedoch hart in die Zügel greifen. Entgegen aller Erwartung konnten sie nicht wie ein Gewittersturm in die Siedlung hineinfegen, um die vermeintlich ahnungslosen Bauern zu überraschen. Das Tor war verschlossen.
Schnaubend und schwitzend tänzelten die Pferde durch das hohe Gras. Große Schaumflocken spritzen von ihren Nüstern, sobald sie kräftig die Mähnen schüttelten. Die Witterung der fremden Siedlung als auch
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