Die Ehre des Ritters (German Edition)
sie nur fest an, machte jedoch keine Anstalten, ihr seinen Willen aufzuzwingen. Als der Earl seine Aufmerksamkeit wieder seiner aufgewühlten Mutter zuwandte und ihr half, auf einem gepolsterten Stuhl Platz zu nehmen, nutzte Isabel die Gelegenheit und verließ fluchtartig die Kammer.
In den ganzen fünfundzwanzig Jahren seines Lebens hatte Sebastian of Montborne seine gütige Mutter nie so erschüttert gesehen. Die Zeit hatte ihren Teil dazu beigetragen, die einst so starke Frau zu schwächen, doch nichts, nicht einmal der Tod ihres Gemahls vor zwei Jahren, hatte sie derart mitgenommen wie diese seltsame Begegnung mit seiner Verlobten.
Er hätte seine Mutter darauf hinweisen sollen, dass Isabel bei ihrer Ankunft womöglich für Aufregung sorgen würde. Er hätte ihr von der Entführung erzählen sollen, aber da es seit einiger Zeit mit ihrer Gesundheit nicht zum Besten stand, hatte er ihr die beunruhigenden Nachrichten ersparen wollen. Jetzt, angesichts ihres gegenwärtigen Zustands, fragte er sich, ob diese Entscheidung weise gewesen war.
»Woher hat sie es, was meinst du?«, fragte sie. Die Frage kam so unvermittelt, dass er jäh zu ihr hinübersah, während er ihr einen Becher Wein aus der Karaffe auf seinem Schreibpult einschenkte.
»Was denn, Mylady?« Er reichte ihr den Becher, den sie mit einer abwehrenden Geste ihrer Hand zurückwies.
»Das Medaillon. Ich frage mich, wie sie … Ich frage mich, woher sie es wohl bekommen hat.«
Sebastian zuckte die Schultern. Ihm war der Anhänger erst aufgefallen, als seine Mutter so seltsam darauf reagiert hatte. »Ehrlich gesagt, vermute ich, es ist ein Liebespfand, das ihr Entführer ihr gegeben hat.« Da seine Mutter ihn erschrocken und verwirrt anblickte, setzte er rasch zu einer Erklärung an. »Ich hätte Euch wohl darüber in Kenntnis setzen sollen, aber ich wollte Euch nicht aufregen. Lady Isabel wurde vor einigen Wochen auf dem Weg nach Montborne von Wegelagerern entführt.«
Seine Mutter zog verblüfft die Brauen zusammen. »Wie bitte?«
»Der Hauptschuldige – zweifellos der Mann, dem auch das Medaillon gehört – wartet derzeit in unserem Kerker auf die Ankunft des Richters.«
»Er ist …« Sie schluckte schwer und blinzelte ungläubig. » Mon Dieu , er ist hier? In Montborne?«
Sebastian nickte. »Der Schurke war bei ihr, als wir sie in der Nähe von Derby aufgespürt haben. Tatsächlich hat mich sogar seine Nachricht zu ihr geführt. Dennoch habe ich nach dem Richter schicken lassen. Morgen wird der Halunke für seine Verbrechen gerichtet werden.«
»Oh nein«, flüsterte Lady Montborne und schlug die Hand vor den Mund. Ihre Finger zitterten. »Oh, Gott, nein.«
»Es ist alles wieder in Ordnung«, sagte er in dem Versuch, ihr die Angst zu nehmen, die sich in ihren Augen spiegelte. »Alles wird gut werden, das verspreche ich dir.«
»Wie lautet sein Name?«, fragte sie erstickt. Ihre Stimme klang belegt und heiser. Sie streckte die Hand aus und packte ihn am Ärmel. »Sein Name, Sebastian! Wie heißt dieser Mann?«
»Droghallow«, antwortete er. »Griffin of Droghallow.«
Mit einem gequälten Aufschrei sprang seine Mutter auf die Füße. Sie blickte Sebastian mit gepeinigter Miene an und schüttelte den Kopf. »Oh, mein Gott!«, stöhnte sie auf. »Der Himmel steh mir bei, was habe ich nur getan?«
Sie stürmte an Sebastian vorbei und lief, ohne darauf zu warten, ob er ihr folgte, den Korridor hinunter, der zum Kerker führte.
29
Auf einer schmalen Holzbank in seiner Zelle sitzend hob Griffin den Kopf, als er das Geräusch von Ledersohlen hörte; schnelle Schritte kamen über die Treppe herab, die sich hinunter bis zum Kerker der Burg wand. Kurz darauf vernahm er Stimmen auf der anderen Seite der schweren Holztür – eine war weiblich, die andere gehörte seinem Wächter –, dann drehte sich ein Schlüssel im Schloss, und die schwere eisenbeschlagene Tür öffnete sich gähnend. Griff stand auf und beschattete seine Augen mit der Hand, als helles Fackellicht von außen in seine Zelle fiel.
Einen Augenblick lang hatte er geglaubt, es sei Isabel, die ihn noch ein letztes Mal sehen wollte. Doch hinter dem Rücken des Soldaten, der für die Nachtwache im Kerker abgestellt worden war, trat eine Dame hervor, die Griffin nicht kannte. Sie zählte mindestens doppelt so viele Jahre wie er, indes wirkte ihr Gesicht immer noch edel und ihre Haltung würdevoll. Das stahlgraue, geflochtene Haar war mit einem weinfarbenen Schleier bedeckt und ihre
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