Die Ehre des Ritters (German Edition)
majestätisches Gesicht von Tränen gerötet war und die schlanken Finger auf dem Türgriff zitterten. »Darf ich hereinkommen?«, fragte sie.
»Mylady, ja, natürlich.« Isabel versank in einen respektvollen Knicks, den sie aufgrund ihres Kummers bei ihrer ersten Begegnung in Sebastians Herrenzimmer vergessen hatte. »Bitte vergebt mir mein Verhalten von vorhin. Ich hoffe, ich habe Euch keinen Kummer bereitet.«
»Nein, meine Liebe.« Anmutig durchquerte Lady Montborne die Kammer und legte ihre warme Hand auf Isabels Wange. »Du hast ein wahres Martyrium erlitten, wie ich hörte. Diese Stunden sind für uns alle nicht leicht.«
Isabel beugte den Kopf. »Ja, Mylady.«
»Bitte«, sagte sie, »nenn mich Joanna, ja?« Isabel nickte, und ein Lächeln erschien auf ihren Lippen. Leise seufzend verschränkte sie die Arme und ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. »Diese Kammer habe ich bewohnt, als ich damals als blutjunge Braut nach Montborne kam. Bei meiner Ankunft habe ich nicht eine einzige Seele gekannt, nicht einmal Lord Eustace, den Mann, den ich heiraten sollte. Ich war damals erst vierzehn, in vielerlei Hinsicht noch ein Kind, und schrecklich verängstigt, weil meine Eltern und Geschwister so weit weg waren.« Sie ging hinüber zu dem großen Himmelbett und spielte mit einer der Quasten, die die schweren Seidenvorhänge am Tage offen hielten. »Ich habe mich jede Nacht vor meiner Hochzeit hier in den Schlaf geweint … und auch noch mehrere Nächte danach.«
Isabel fiel es nicht schwer, sich vorzustellen, dass es einem jungen Mädchen Angst einflößte, einen Fremden zu ehelichen, doch sie selbst war eine erwachsene Frau und der Grund für die Tränen, die sie in dieser Kammer vergossen hatte, lag nicht etwa darin, dass sie Furcht vor dem hatte, was ihr bevorstand, sondern vielmehr Furcht davor, was sie gezwungen war, dafür aufzugeben. Sie wandte den Blick von Lady Joanna ab und schaute erneut in die Flammen, sah zu, wie die Asche vom glühenden Holz fiel und sich unter dem Kaminrost sammelte.
»Eustace zählte mehr als doppelt so viele Jahre wie ich. Mir erschien er bei unserer ersten Begegnung fürchterlich alt und ernst. Er war zuvor schon einmal verheiratet gewesen, weißt du, seine Gemahlin ist jedoch im Kindbett verstorben, zusammen mit den Kindern.«
Isabel drehte sich zu Lady Joanna um. Verwundert krauste sie die Stirn. »Gebar sie denn mehr als ein Kind?«
»Zwillinge«, bestätigte Lady Joanna, und ein trauriger Zug grub sich in ihre Mundwinkel. »Eine seltene Laune der Natur, fürwahr. Manche bezeichnen sie als ein Wunder Gottes, aber die meisten – auch Eustace – halten sie für den Beweis eines weitaus weniger erfreulichen Vorkommnisses.«
»Ehebruch«, wisperte Isabel. Vor einigen Jahren war eine Frau in das Kloster gekommen, die von ihrem Gatten verstoßen worden war, weil sie zwei Säuglinge geboren hatte. Die junge Mutter hatte die Anschuldigung heftig bestritten und ihren Gatten angefleht, sie zurückzunehmen, doch er hatte sich geweigert. Selbst einige der Nonnen schienen sie mit einer gewissen Abscheu anzublicken. Isabel hatte sie oft sagen gehört, es sei ihres Wissens noch nie vorgekommen, dass eine Frau zwei Kinder gleichzeitig gebar; das sei nur möglich, wenn zwei Männer sie geschwängert hätten.
»Wie du dir vorstellen kannst, brodelte die Gerüchteküche in der Burg nach dem Tod von Eustaces erster Gattin vor boshaften Anschuldigungen«, fuhr Lady Joanna fort. »Man sprach sogar noch bei meiner Ankunft in Montborne davon. Der Earl wurde mir als eifersüchtiger, unerbittlicher und argwöhnischer Mann beschrieben. Ich lernte sein misstrauisches Wesen bald selbst kennen, denn nach unserer Hochzeit durfte ich die Burg nur noch in seiner Begleitung verlassen. Ich wurde in dieser Kammer förmlich wie eine Gefangene gehalten, jeglicher Kontakt mit anderen Menschen, außer meinem Gatten und meinen Zofen, war mir verboten.«
Ein Scheit knackte im Kamin, fiel prasselnd auseinander und ein Funkenregen stob auf. Bei der Vorstellung, wie einsam Lady Joanna in ihrer Ehe gewesen sein musste, wie traurig und allein sie sich in dieser Kammer gefühlt haben musste, erschauerte Isabel und rieb sich die Arme.
»Abgesehen von seinem besitzergreifenden Wesen war Eustace nicht unfreundlich zu mir. Ich lernte ihn kennen, ihn verstehen, und während dieses ersten Jahres unserer Ehe entwickelte ich tiefe Gefühle für ihn.« Tief Luft holend setzte sich Lady Joanna auf die dicke
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