Die Ehre des Ritters (German Edition)
mich wusste, als sie mir sagen wollte. Dass sie ein Geheimnis hütete, das sie vor mir und allen anderen verbarg.« Er schüttelte den Kopf und blickte in den leeren Becher. »Als sie vor einigen Wintern wegen eines Fiebers im Sterben lag, hat sie gesagt, ich würde alle Antworten auf meine Fragen nach ihrem Tod erhalten. Sie sagte, ich müsse mich nur umblicken, um sie zu finden.«
Isabel furchte die Stirn. »Was hat sie wohl damit gemeint?«
»Ich wünschte, ich wüsste es. Sie verlor immer wieder das Bewusstsein, nachdem sie mich zu ihrer Kammer hatte holen lassen. Ich nehme an, es waren nur leere Worte, die das Fieber ihr eingegeben hatte. Falls es doch einen Schlüssel zu dem Rätsel gibt, hat sie ihn mit ins Grab genommen.«
»Vielleicht könnt Ihr das Rätsel auch ohne sie lösen. Vielleicht können wir es gemeinsam lösen.«
Er zuckte die Schultern und schenkte ihr ein gleichgültiges Lächeln. »Es kümmert mich nicht mehr. Falls ich tatsächlich irgendwo noch lebende Verwandte haben sollte, haben sie nichts unternommen, um mich zu finden. Warum also sollte ich sie suchen?«
»Weil die Familie wichtiger ist als alles andere«, antwortete sie, erstaunt, dass er überhaupt eine solche Frage stellen konnte, besonders nach all dem, was er in Droghallow durchgemacht hatte. »Die Familie ist das Einzige, was in dieser Welt zählt. Alles andere – Vermögen, Titel, Ländereien – ist zweitrangig und nebensächlich. Bedeutungslos.«
Ihre leidenschaftliche Rede trug ihr ein Schnauben von dem Zyniker an ihrer Seite ein. »Ich nehme an, das sagt sich leicht, wenn man im Besitz all dieser bedeutungslosen Nebensächlichkeiten ist. Was mich angeht, ziehe ich Geld Geschwistern jederzeit vor.«
Sie furchte die Stirn, doch er gab ihr keine Gelegenheit zu einer Erwiderung, sondern ließ sie allein, um den anderen Männern dabei zu helfen, die Halle für die Nacht vorzubereiten. Tischbretter und Böcke wurden an den Wänden aufgestapelt, wo sie bis zum Morgen bleiben würden, damit die Burgbewohner und Gäste den mit Binsen bestreuten Boden als Schlafquartier nutzen konnten. Lady Hexford bot ein Federbett und so viele Wolldecken an, wie sie erübrigen konnte. Danach wies sie die Dienstboten an, darauf zu achten, dass die Flammen in der Feuerschale nicht verloschen, damit es alle warm hatten und ihre Habe trocknen konnten.
Isabel war erfreut, dass Griffin ihnen eine Pritsche nahe der Feuerstelle sicherte, statt einen abgeschiedeneren Platz zu wählen. So wichtig es auch war, während ihres Aufenthalts in Hexford Diskretion zu wahren, konnte sich Isabel nichts Einladenderes vorstellen als ein warmes Bett. Sie versuchte nicht daran zu denken, dass Griffin es mit ihr teilen würde, sondern vertrieb den Gedanken vielmehr, bis er neben ihr lag und sich seine Brust an ihren Rücken presste.
»Habt Ihr es behaglich?«, fragte er so unbekümmert, dass Isabel sich fragte, ob er jede Nacht in dieser Weise mit einer Frau verbrachte.
Isabel war sich indes nicht sicher, ob ihr behaglich zumute war. Obwohl sie erschöpft und gesättigt von der Mahlzeit und dem schweren Rotwein war, schien doch jede Faser und Sehne ihres Körpers zum Leben erwacht zu sein. Sie spürte Griffins Herz an ihrem Rücken schlagen, fühlte seine Wärme, die harten Muskeln seiner Brust und Oberschenkel, seinen Atem, der über die feinen Haare in ihrem Nacken strich und sie kitzelte.
»Isabel, fühlt Ihr Euch wohl?«, fragte er erneut. Mit tiefer rauer Stimme raunte er ihr die Frage ins Ohr.
Fühle ich mich wohl?, fragte sie sich. Das letzte Mal, als sie eine Nacht in dieser Weise neben ihm verbracht hatte, wäre sie um nichts in der Welt in seiner Nähe geblieben, hätte sie nicht ein Lederriemen an ihn gefesselt. Nun band sie nichts weiter als die Wärme seines Körpers, das tröstliche Gewicht seines Armes, der schützend über ihr lag und sie sanft an sich presste. Sie stellte fest, dass sie sich unwillkürlich in seine Umarmung schmiegte, und redete sich ein, es bedeute nichts, obwohl ihr das Herz in der Brust so heftig flatterte wie ein eingesperrter Vogel in einem Käfig.
»Ja«, antwortete sie leicht atemlos. »Ich fühle mich wohl.«
Obwohl es an Verrücktheit grenzte, wollte sie in diesem Augenblick an keinem anderen Ort lieber sein als an seiner Seite.
12
Ein stürmisches Gewitter sorgte dafür, dass niemand am nächsten Tag die Burg verlassen konnte. Viele Gäste der Hexfords, darunter auch Isabel und Griffin, entschlossen sich, aufgrund
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