Die Ehre des Ritters (German Edition)
sagte eine Frau mittleren Alters, die Isabel gegenübersaß. »Ist das nicht das Entzückendste, was Ihr je gesehen habt?«
Der Mann an ihrer Seite schmunzelte. »Es ist noch gar nicht so lange her, da warst auch du eine solch reizend genierliche Braut, Gerti. Und gelegentlich gelingt es mir immer noch, dich zum Erröten zu bringen. Besonders, wenn ich diese Sache mit deiner …« Er flüsterte seiner Gattin etwas ins Ohr, und sie kicherte verlegen.
»Du Schuft!«, rief sie und schlug ihm neckisch auf die Schulter.
Die Scherze und humorvollen Bemerkungen, die die Tischgesellschaft daraufhin austauschte, rauschten an Isabels Ohren vorbei. Mit dem Gefühl, alle Augen würden auf ihr ruhen, aß sie hastig weiter und fühlte sich schrecklich verlegen, wenn sie mit dem Mund die Fleischstücke von Griffins Dolch nahm, die er ihr hinhielt. Der starke Durst, den sie plötzlich verspürte, und die andauernde Anspannung ließen sie oft zu seinem Becher greifen und mehr Wein trinken, als sie es gewohnt war.
Der milde Geschmack des warmen Würzweins und das Stimmengewirr in der Halle weckten Erinnerungen an ihr früheres Leben, das sie nicht in der Abgeschiedenheit des Klosters verbracht hatte. Ein Leben, das dem von Lord und Lady Hexford und deren Familie und Freunden gar nicht so unähnlich war. Sie konnte sich Gesellschaften wie dieser entsinnen, bei denen ihre Mutter und ihr Vater lächelnd auf der Estrade gesessen, sich den Wein mit vielen Gästen geteilt und die Unterhaltung mit ihnen genossen hatten. Sie erinnerte sich auch an ruhigere Abende, an denen sie und ihre Eltern sich in die Privatgemächer der Familie zurückgezogen hatten, um zu beten und sich Geschichten zu erzählen.
Mit einem Schlag waren all diese schönen Zeiten verloren gewesen; sie endeten ebenso jäh, wie man ihrem Vater den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, als er in London am Galgen gestanden hatte – ein gealterter Verräter, den man im Auftrag von Henry II. gefangen genommen und für seine vor Jahren begangenen Verbrechen zum Tode verurteilt hatte. Dass ausgerechnet Richard Plantagenet, einer von William de Lameres bedeutendsten Mitverschwörern gegen die Krone, inzwischen zum König gekrönt worden war, schien ihr, als würde man Salz in eine Wunde reiben, die noch nicht verheilt war. Der Tod ihres Vaters war ein solcher Verlust gewesen. Nichts würde das je wiedergutmachen können, auch nicht das offensichtliche Mitgefühl des Königs, das ihn veranlasste, sie mit einem seiner engsten Verbündeten zu vermählen.
»Ihr seid plötzlich so still geworden«, bemerkte Griffin neben ihr, so nah und so leise, dass nur sie es hören konnte, und schreckte sie mit seiner Nähe und dem vertraulichen Ton in seiner Stimme aus ihren Gedanken. »Seid Ihr vielleicht müde, Mylady?«
Isabel schüttelte den Kopf und hoffte, dass die plötzliche Traurigkeit, die sie überflogen hatte, ihr nicht ins Gesicht geschrieben stand. »Ich denke nur nach«, antwortete sie.
»Über Montborne?«
»Nein, Lamere. Ich habe an zu Hause gedacht … an meine Familie.«
»Seid Ihr schon lange von Eurer Familie getrennt?«
»Zu lange. Obwohl diese Familie nur noch aus meiner jüngeren Schwester und mir besteht. Ich will nach ihr schicken lassen, sobald ich mich in Montborne eingerichtet habe.«
Er nickte mit verständnisvoller Miene. »Sie kann sich glücklich schätzen, eine solch großzügige Schwester zu haben.«
»In Wahrheit tue ich es ebenso für mich wie für sie«, gab Isabel zu. »Ich habe sie in all den Jahren schrecklich vermisst.«
»Lebt sie noch auf Lamere?«
»Nein. Nach dem Tod meines Vaters blieb niemand mehr auf Lamere. Meine Mutter wurde sehr krank und ist zur Genesung zu ihren Verwandten nach Frankreich zurückgekehrt. Maura und ich wurden in verschiedene Klöster geschickt. Sie war erst zwei Jahre alt, als ich sie zuletzt sah. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie inzwischen acht ist. Ich frage mich, ob ich sie überhaupt wiedererkennen werde.« Isabel zupfte an einem Faden in ihrer handgewebten Robe. Sie konnte Griffins forschenden Blick nicht ertragen. »Was ist mit Euch?«, fragte sie, eifrig darauf bedacht, die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. »Ihr könnt nach all dem, was vorgefallen ist, nicht nach Droghallow zurückkehren. Werdet Ihr Euer Zuhause vermissen?«
»Droghallow ist mir schon seit Langem kein Zuhause mehr. Wenn es das überhaupt je gewesen ist.«
Sie dachte an Doms Worte, nachdem Griffin seine Belohnung für die
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