Die Ehre des Ritters (German Edition)
des unwirtlichen Wetters noch eine weitere Nacht zu bleiben. Sie verbrachten den Tag mit den anderen in der großen Halle, nahmen dort ihr Frühstück und die Hauptmahlzeit ein und ließen sich den Großteil des Tages von dem Barden der Hexfords unterhalten.
Der schlaksige Sänger erfreute sie mit Liedern und derben Versen. Jede seiner Balladen war für Isabel wie ein kleines Wunder, da ihre Fantasie im Kloster lediglich mit Bibelerzählungen und Heiligen Schriften genährt worden war. Ihr gefielen die Gedichte über Liebe und Romantik, die er sang. Sie hing förmlich an seinen Lippen und saugte jedes ungewöhnliche Wort auf, erfreute sich an den Erzählungen, die ein glückliches Ende nahmen, und stöhnte enttäuscht mit den anderen Frauen, wenn es das Schicksal nicht gut mit den Liebenden in seinen Weisen meinte.
Sie wagte kaum zu atmen, als er eine Ballade über eine junge Frau vortrug, deren Vater eine Ehe mit einem Mann seiner Wahl für sie arrangiert hatte, obwohl ihr Herz seit Langem einem einfachen Ritter gehörte. Während der Barde sein trauriges Lied sang, wanderte Isabels nachdenklicher Blick unwillkürlich zu Griffin. Er hatte den Tisch vor einiger Zeit verlassen, um ihre Vorräte zu prüfen. Anscheinend konnte er sich nicht für diese Art von Unterhaltung begeistern. Ohne den Minnesänger oder die anderen eines Blickes zu würdigen, schnürte er sein Bündel und legte es auf seinen zusammengefalteten Mantel.
Schon viele Male seit ihrer Ankunft in Hexford hatte Isabel unauffällig den Mann beobachtet, der vorgab, ihr Gatte zu sein. Sie wusste, dass das Verlangen, ihn immer wieder zu betrachten, ihn zu studieren und näher kennenzulernen, unziemlich war. Und es war sündig, sich immer wieder seiner Berührung zu erinnern, ihre Gedanken immer wieder zu dem Kuss zurückschweifen zu lassen, den er ihr in Droghallow gegeben hatte. Diese vorgetäuschte Zuneigung hätte sie niemals derart für ihn entflammen lassen dürfen, weder als es geschah noch an all den darauffolgenden Tagen. Es war verrückt anzunehmen, dass seine Zärtlichkeiten aufrichtig gemeint sein könnten.
Wie Isabels Gedanken, so hatte auch die Ballade des Barden eine bittere Wendung genommen. Er sang voller Mitgefühl über das Paar, das nicht zusammenfinden durfte, weil die arme junge Frau einem Fremden versprochen war. Beim Abschied schwor die Frau dem geliebten Ritter, dass sie ihn nie vergessen werde und ihr Herz auf ewig ihm gehöre. Isabel lauschte kummervoll der schrecklichen Erzählung, in der die Liebenden auseinandergerissen wurden. Der Ritter musste gehen, um seinem Lord zu dienen, das Mädchen schickte man zu ihrer Hochzeit fort. Getreu ihrem Versprechen vergaß sie ihren Liebsten nie, und als sie einige Jahre später von seinem Tod erfuhr, brach sie zusammen und verstarb auf der Stelle. Ihr Herz hatte keinen Grund mehr zu schlagen, nun, da ihr geliebter Ritter dahingeschieden war.
»Sie sind beide gestorben?«, fragte eine der Frauen an Isabels Tisch. »Uh, was für eine grässliche Ballade!«
»Nein, das ist so romantisch!«, verkündete eine jüngere Frau. Sie seufzte und stützte das Kinn in die Hand. »Oh, eine solch große Liebe zu erleben. Ich frage mich, was das wohl für ein Gefühl ist.«
»Frag sie«, erwiderte die Matrone und deutete auf Isabel. »Man kann es kaum übersehen; es steht Euch deutlich ins Gesicht geschrieben, wenn Ihr Euren Gatten anblickt«, sagte sie verständnisvoll. »Dann strahlt Ihr ein Glühen aus, das mehr als genug für sich spricht. Schätzt Euch glücklich, die wahre Liebe gefunden zu haben.«
»Oh, ich weiß nicht, ob …«, setzte Isabel an, erschrocken über die Beobachtung und bereit zu leugnen, dass sie Griffin liebte.
Die Annahme der Frauen war indes nur allzu verständlich, sie vermuteten ja auch, dass sie seine Gemahlin war und sein Kind erwartete. Sie blickte in das halbe Dutzend weiblicher Gesichter, die sie erwartungsvoll anschauten und offensichtlich darauf warteten, dass sie ihnen von der Schönheit der wahren Liebe erzählte. Sie suchte nach einer passenden Bemerkung, doch schließlich zog sie es vor zu schweigen, aus Angst, sie würde nur unverständliches Zeug stammeln.
»Seid Ihr schon lange mit Eurem Gatten vermählt?«, fragte die junge Frau, der die letzte Ballade so gut gefallen hatte.
»Nein«, antwortete Isabel und senkte den Kopf. Es gelang ihr nicht, dem neugierigen Blick der Frau standzuhalten. »Nein, noch nicht lange.«
»Frischvermählt, und wie es
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