Die Ehre des Ritters (German Edition)
ihre Eltern tatsächlich beabsichtigen, sie später einmal mit einem Mann der Kirche zu vermählen!« Kummervoll schüttelte sie den Kopf und bekreuzigte sich.
Gleich darauf stürmte sie, ohne Isabels Antwort abzuwarten, davon, um ihre fruchtlose Suche fortzusetzen. Und schon war sie mit wirbelnden Röcken und unverständlichem Gemurmel hinter der nächsten Ecke verschwunden.
»Die Luft ist rein«, sagte Isabel zu dem Teppich. »Du kannst herauskommen.«
Hinter dem dicken Wandteppich erschien die Tochter der Hexfords. Sie warf einen Blick den Korridor hinunter und wandte sich stirnrunzelnd Isabel zu. »Woher wusstest du, wo ich war?«
»Das haben mir natürlich die Feen erzählt«, antwortete sie und deutete auf den Kreis der tanzenden Waldgeister.
»Niemals nicht«, erwiderte die kleine Marian und schüttelte den Kopf. Doch ihre Augen glänzten vor Neugier. »Du willst mich nur foppen. Feen reden nicht.«
Isabel hob in gespielter Überraschung die Brauen. »Nicht? Nun, als ich in deinem Alter war, haben sie das allerdings getan. Vielleicht können wir sie hören, wenn wir ganz still sind und genau aufpassen.«
Sie presste das Ohr an den Wandteppich und gab vor, angestrengt zu lauschen. Es dauerte nicht lange, da tat es Marian ihr gleich. Lächelnd schaute sie zu Isabel auf, als würden sie beide ein wundervolles Geheimnis teilen.
»Komm«, sagte das Mädchen schließlich und ließ ihre kleinen Finger in Isabels Hand gleiten. »Ich will dir etwas zeigen.«
Froh, dem Lärm in der Halle einen Moment zu entkommen, musste Isabel nur kurz überlegen, ehe sie Marian bereitwillig den Korridor hinunter folgte und mit ihr die Stufen zum Turm hinaufstieg. Am oberen Ende der spiralförmigen Treppe befand sich eine Kammer – ganz offensichtlich ein Spielzimmer. Ein Schaukelpferd sowie ein kleiner Tisch und Stühle aus Birkenholz standen darin. Auf jedem der Stühle saß eine Stoffpuppe; alle trugen Kleider in unterschiedlichen Farben, die alle gleichermaßen kunstvoll gearbeitet waren.
Doch erst als Isabel in der Mitte der Kammer stand, bemerkte sie das wahre Wunder des Raumes. Über die ganzen Kalkwände zog sich ein Gemälde hin, das eine Landschaft im wechselnden Verlauf der Jahreszeiten zeigte. Es war so unglaublich schön, dass es ihr den Atem raubte. Jede der vier Wände war einer anderen Jahreszeit gewidmet: der Frühling mit grünen Blättern, Blütenknospen und Tierkindern, die mit großen Augen und unschuldigem Blick hinter Baumstämmen und üppigen Farnen hervorlugten. Der Sommer zeigte eine von Blumen übersäte Landschaft und einen Himmel, von dem die Sonne strahlte. Im Herbst gab es reichlich samtene Gold-, Rot- und Orangetöne. Selbst der Winter war ein prächtiger Anblick, denn man sah mit Frost überzogene Kiefern und Schneeflocken, die von einem indigoblauen Himmel fielen. Die Sichel eines blassblauen Mondes beleuchtete eine detailgetreue Abbildung der Burg der Hexfords, geschmückt mit Girlanden aus Stechpalmenzweigen und Eiszapfen.
Ehrfürchtig betrachtete Isabel das Gemälde, doch die kleine Marian zog sie weiter zu dem schießschartenartigen Fenster. Darunter stand eine Art Truhe. Erst als Isabel sich neben Marian kniete und mit ihr durch das Netz aus Draht spähte, entdeckte sie, dass es gar keine Truhe war, sondern ein Käfig. Frische Grasnarbenstücke lagen, einem grünen Teppich gleich, auf dem Boden, und darauf standen kleine Töpfe mit vielen verschiedenen herrlich duftenden Blumen. In diesem hübschen kleinen Gefängnis flatterte fast ein Dutzend Schmetterlinge umher. Ihre fröhlichen Farben und ihr feenhaftes Gebaren entlockten Isabel und ihrer neuen Freundin ein Lachen.
»Sie sind wunderschön«, sagte Isabel und lächelte herzlich. Allein der Anblick der anmutigen Geschöpfe erwärmte ihr Herz.
»Mein Papa bringt mir jedes Mal einen von seinen Reisen mit«, sagte Marian. »Möchtest du mal einen halten?«
Sie hob den Deckel des Käfigs, und sofort flatterten die Schmetterlinge heraus. Wie vom Wind erfasste Blätter schwebten sie durch die Kammer. Isabel schnappte entsetzt nach Luft, weil die Tiere Marian so leicht entkommen waren. Doch das kleine Mädchen schien darüber überhaupt nicht besorgt zu sein.
»Halt ganz still«, wies sie Isabel an. »So wie ich.«
Sie streckte ihre kleinen Arme aus und blickte zu dem flatternden bunten Regenbogen über ihrem Kopf empor. Still wartete sie, ohne auch nur einen Muskel zu regen, etwas, das für ein Menschenkind mit ihrer unbändigen
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