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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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Szene kam ihm wie ein altes Schwarzweißfoto vor, in das er hineingefahren war. Er bockte seine Maschine auf. »Haben Sie einen Platten?«, rief er.
    Sie sah ihn entsetzt an. Er zeigte auf ihr Rad und inspizierte es. Sie hatte keinen Platten, sondern die Fahrradkette war abgesprungen. Das Fahrrad war ein schwarzes Ungetüm, ein Vorkriegsmodell mit geradem Lenker, langer Hebelbremse, braunem Damensattel und einem bunten Häkelnetz überm Hinterrad. Es war verflucht schwer, als Gregor es umkippte, sodass es auf Sattel und Lenkrad zu stehen kam.
    »Ich heiße Gregor«, sagte er und schlug sich auf die Brust.
    »Elisabeth«, stellte sie sich vor. Ihren Nachnamen verstand er nicht. Elisabeth hatte ein Grübchen am Kinn.
    »Ich bin auf dem Weg nach Eupen. Sie auch?«
    Sie nickte.
    »Ich versuche das zu reparieren«, bot er sich an.
    Sie lächelte unsicher. Als sie sich umdrehte, um sich wieder auf den Baumstamm zu setzen, sah er, dass ihre schwarzen Strümpfe eine Längsnaht hatten und ihr Rock einen kleinen Schlitz. Sie stellte ihre Beine schräg und legte die Handtasche in den Schoß.
    Während Gregor an der rostigen Kette herumfingerte, dachte er, dass es eigentlich gar nicht so schlecht wäre, wenn es ihm nicht gelänge, sie auf das Zahnrad zu spannen, dann könnte er Elisabeth anbieten, sie auf dem Rücksitz mitzunehmen. Sie könnten in Eupen einen Kaffee trinken und mal sehen, was der Tag so brachte.
    Vielleicht war dieser Gedanke schuld daran, dass sich die Kette jeder Reparatur widersetzte. Vielleicht lag es am vorsintflutlichen Modell. Oder Gregor gab zu früh auf. Er richtete sich nach einer Weile auf und breitete resigniert die Arme aus. »Es will nicht funktionieren.«
    »Oh!«, rief Elisabeth, sprang auf, stöckelte zu ihrem Fahrrad und untersuchte es.
    Gregor zog ein Taschentuch aus der Lederhose und wischte sich die Finger daran ab. »Ich kann Sie nach Eupen mitnehmen.«
    Sie sah ihn ratlos an.
    Er ging zu seiner Maschine und klopfte mit der flachen Hand auf den Sozius.
    »Nein!« Elisabeth schüttelte entsetzt den Kopf und ging zwei Schritte rückwärts.
    Gregor versuchte es mit seinem gewinnenden Lächeln. Es nützte nichts. Elisabeth war entschlossen zu bleiben. Sie setzte sich wieder, Beine schräg, Handtasche im Schoß, und ihre Hände umfassten den Baumstamm, als halte sie sich daran fest.
    Gregor reichte ihr sein Handy. Elisabeth blickte verwundert darauf. Er machte das internationale Zeichen für Telefonieren.
    »Nein!«, sagte Elisabeth und ein Ruck schien durch ihren mageren Körper zu gehen.
    Dann eben nicht, dachte Gregor. Und schade, das dachte er auch noch.
    Als er sein Motorrad über den Waldweg schob, stand sie plötzlich neben ihm und zog an seinem Arm.
    »Speck!«, flüsterte sie aufgeregt und blickte sich ängstlich um, als würden sie belauscht.
    »Speck?«
    Sie nickte aufgeregt und leckte sich über die Lippen.
    »Haben Sie Hunger?«, fragte Gregor.
    Sie nickte wieder.
    »Soll ich Ihnen was zu essen bringen?«
    »Speck!«, stieß sie hervor und zeigte in den Himmel. Ihre Hand flatterte.
    »Wenn es dunkel ist?«, riet Gregor auf gut Glück.
    »In der Nacht!«
    »OK. Ich komme heute Abend wieder«, versprach er.
    Elisabeth erwiderte sein Winken nicht, sie sah ihm nur nach, mit ernstem, unbeweglichem Gesicht saß sie auf dem Baumstamm, als er auf der Straße aufs Motorrad stieg.
    Während er auf Eupen zurollte, dachte er über die seltsame Begegnung nach. Er war nicht gerade ein Mann, vor dem man Angst haben musste. Laura sagte immer, er sehe aus wie ein gutmütiger Bär. Was sollte die Nummer mit dem Speck? Wenn man Hunger hat, isst man alles, oder? Und warum war sie nicht mitgekommen? Warum sollte er erst in der Nacht wiederkommen?
    Bald zweigte rechts die Zufahrt zur Talsperre der Vesdre ab. Das musste das französische Wort für Weser sein, überlegte Gregor, obwohl er die Weser eigentlich in eine andere Region einsortiert hätte, er war geografisch nicht ganz sattelfest. Die Betonplatten-Straße wurde endlich wieder zu einer geteerten Fahrbahn.
    Er erreichte Eupen. Im gemütlich dahinfließenden Stadtverkehr ließ er sich treiben. Vor einem Stadion standen Menschen Schlange an der Kasse, ein Großereignis schien anzustehen. Alle Straßen führten bergauf. Alle Geschäfte waren geschlossen, wie sollte er an den Speck kommen?
    Auf kleinen, verwinkelten Nebenstraßen gelangte er schließlich zu einem Platz, auf dem Tische und Stühle einladend unter Bäumen standen. Gregor parkte vor

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