Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
ein Tante-Emma-Laden, hatte der Verein zu einem Spottpreis auf einer Nebenstraße angemietet. Er war vollgestopft bis in den kleinsten Winkel, auch im Hinterzimmer und im Keller standen die Kartons bis zur Decke.
Margret war noch nicht lange dabei. Aber sie liebte es.
Sie hatte nach einer Beschäftigung gesucht, für die sie ein paar Stunden in der Woche von zu Hause weg sein konnte und die ihr ein wenig Abwechslung und Gesellschaft bringen sollte. Sie brauchte beides dringend. Denn wenn ihr Mann von der Arbeit kam, wurde es ungemütlich. Die vier Stunden, von 17 Uhr bis Schlag 21 Uhr, wenn er endlich die Treppe in den ersten Stock hinaufstapfte und schlafen ging, waren die schlimmsten des Tages.
Bis er den Schlüssel in die Haustür steckte, war alles bestens. Margret schlief lange, frühstückte ausgiebig, studierte in der Zeitung die Todesanzeigen und die kleinen Unfallmeldungen, blätterte in ihrem Pflanzen-Lexikon, machte sich zurecht – jedenfalls an den Wochentagen, an denen sie in den Laden gehen wollte – und malte sich den lieben, langen Tag aus, was Walther Lux alles zustoßen könnte, damit sie ihn ein für allemal los wurde und er nie wieder mit griesgrämigem Gesicht um 17 Uhr von der Arbeit kam, nur um sie bis Schlag 21 Uhr zu drangsalieren.
Für ihn sah das ganz anders aus. In seinen Augen war alles sonnenklar: Seine Frau Margret war die Wurzel allen Übels. Selbst am Wetter und am Fernsehprogramm, an seinem Stress mit den Kollegen und dem Ausbleiben seiner Beförderung trug sie in seinen Augen allein durch ihre bloße Existenz die Schuld.
Auch das Essen, das sie für ihn kochte, war nie gut genug, mal zu heiß, mal zu kalt, mal zu scharf, mal zu fade. Immer war irgendetwas mit seiner Wäsche. Mal fehlten ein Knopf oder eine Socke, mal war ausgerechnet das Hemd, das er anziehen wollte, ungebügelt. Und erst ihre Einkäufe! Wie unwirtschaftlich und unüberlegt sie waren. Ohne jedes System. Wenn er die Haushaltskasse mit den Kassenzetteln verglich, fand er nicht nur Unnötiges und Überteuertes, sondern auch noch Unstimmigkeiten. Centbeträge!
Zugegeben, Margret half all diesen Tatbeständen ein wenig nach, aber erst nachdem sie festgestellt hatte, dass Walther akribisch danach suchte und erst zufrieden aufstöhnte, wenn er etwas zu bemängeln gefunden hatte und sie deswegen zur Rede stellen konnte.
Die Inquisition war nichts gegen die Befragungen, die dann kamen und bei denen er hinter dem Küchentisch saß wie ein Richter. Mit spitzem Bleistift pochte er drohend auf die Zahlen und befahl: »Ich wünsche eine Erklärung! Aber flott!«
Am liebsten wäre es Margret, Walther würde von einer Straßenbahn überfahren. Oder einem Auto. Wenn es nach ihr ginge, könnte er auch den Balkon herunterfallen oder die Treppe im Flur. Gift wäre zwar auch schön, es gab so schöne Pflanzengifte! Aber sie selbst durfte auf keinen Fall in Verdacht geraten, sie wollte sich nach seinem Tod ein schönes Leben machen. Auch eine unerwartete, tödliche Krankheit wie Herzinfarkt oder Schlaganfall würde sie notfalls akzeptieren, aber nur, wenn es schnell ging und sie ihn nicht wochenlang pflegen musste. Denn wenn Walther krank war, war er noch unerträglicher.
Die Hoffnung, dass er sich eines Tages selbst das Leben nehmen könnte, hatte sie längst begraben. Denn er machte ständig Pläne für die Zukunft. Schreckliche Pläne! Für die Zeit, wenn er nicht mehr arbeiten gehen musste. Dann wäre er zwölf Stunden lang am Tag in der Wohnung bei Margret! Nicht auszumalen! Dazu durfte es nicht kommen.
Wenn es dazu käme, würde Margret ins Wasser gehen. Das war nicht nur hochdramatisch, sondern auch endgültig, denn Margret konnte nicht schwimmen.
Es waren nur noch zwei Jahre bis zu dem Tag, an dem Walther in Rente ging. Nichts tat sich. Nie war er zur falschen Zeit am richtigen Ort! Kein Verbrecher nahm sich seiner an. Es war zum Verrücktwerden.
Allein die Stunden im Secondhandshop brachten Margret ein wenig Sonne ins Leben. Oft veranstalteten die Frauen mit den getragenen Klamotten Modenschauen und hatten Spaß miteinander. Sie schütteten sich ihre Herzen aus, man lästerte, man jammerte, man litt miteinander, andere hatten es auch nicht besser getroffen, das tröstete über das eigene Elend hinweg. Sie waren Freundinnen geworden.
Margret sprach selten über Walther. Sie war schließlich gekommen, um ihn zu vergessen. Aber wenn es sich nicht vermeiden ließ, dann sagte sie nur Gutes über ihn. Sie erfand andere
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