Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
Mensch zu sein.
Das war ich auch. Ich hatte viel Zeit, Geld und Aufwand in seinen neuen Auftrag gesteckt, ehe ich die Richtige für ihn gefunden hatte. Auf ihr Äußeres hatte Steinfeld keinen Wert gelegt. Anderes war ihm wichtiger. Sie sollte keine Deutsche sein. Steinfeld hatte mit deutschen Frauen angeblich schlechte Erfahrungen gemacht. Mit Olga sollte ihm das nicht passieren. Olga war anspruchslos und gehorsam.
Und jetzt war er weg. Und ich musste wohl oder übel den verdammten Code knacken, wenn ich an mein Geld kommen wollte.
Wo 237.
In der vagen Hoffnung, die Kombination beziehe sich auf den Teil eines Autokennzeichens, eine Hausnummer, eine Telefonnummer, ein Schließfach bei Post oder Bank oder Bahnhof, durchkämmte ich noch am gleichen Tag unsere kleine Stadt und das Neubaugebiet im Westen, befragte in meinem Büro das Internet und zermarterte mir das Hirn. Das kostete Zeit. Und Nerven.
Irgendetwas sagte mir, Steinfeld sehe mir zu, wie ich ackerte, und lache sich kaputt. Nicht mit mir. Nicht umsonst führe ich eine Kartei meiner Kunden. Auf Steinfelds Karte stand in der Zeile »Beruf«: Buchhändler. Ich musste also nur in sein eigenes Geschäft gehen oder seinen Arbeitgeber finden.
Gegen Mittag des nächsten Tages wusste ich, dass Steinfeld nicht selbstständig war. Warum wunderte mich das? Sein Arbeitgeber war niemand anderer als die Stadt. Unsere Stadt. Er arbeitete in der Stadtbücherei.
Eine Mitarbeiterin dort verkündete, sie gebe am Telefon keine Auskünfte. Ich machte mich also auf den Weg ans andere Ende der Stadt. Kollege Steinfeld habe Urlaub genommen, erfuhr ich von ihr vor Ort, nachdem ich mich als eine entfernte Verwandte und sie sich als Frau Kuhn vorgestellt hatte. Er wolle heiraten. »Wussten Sie das nicht?«
Dieser Bastard, dachte ich. »Er hat mir nichts gesagt. Wie lange hat er denn Urlaub?«
»Ich nehme an, drei Wochen.«
»Können Sie mir das genauer sagen?«
»Da muss ich im Büro nachsehen«, sagte Frau Kuhn.
»Würden Sie das für mich tun?« Ich lächelte mein schönstes Lächeln. Ich konnte sehr verbindlich sein. Das muss man auch in meinem Beruf. Während es für eine Bücherei-Angestellte offensichtlich andere Kriterien gibt.
»Moment bitte«, wurde ich um Geduld gebeten.
Während ich auf die Auskunft wartete, ließ ich meine Blicke durch die langen Gänge zwischen den Regalen schweifen. Ich war zum ersten Mal in einer Bücherei. Es war kein Ende zu sehen. Wie in einem Labyrinth. Und dazu diese Stille, die in meinen Ohren rauschte! Der Teppichboden verschluckte meine Schritte, als ich mich auf den Weg machte. Ich fühlte mich beobachtet. Was würde geschehen, wenn ich hier einen Hustenanfall bekäme oder mein Handy klingelte?
Die Buchrücken waren mit bunten Klebestreifen versehen. Ich trat näher. Jeweils zwei Buchstaben gehörten zu ein bis vier Zahlen. Von Hoffnung getragen schritt ich dem Alphabet folgend die Regale entlang. Zwischen Wo 236 und Wo 238 klaffte eine schmale Lücke. Ich war eben einfach kein Gewinnertyp. Das Leben hat es mir immer schwer gemacht.
Während ich noch darüber nachdachte, hörte ich eine Stimme hinter mir. »Wie ich schon sagte: drei Wochen.«
»Und wann sind die um?«, fragte ich, ohne mich umzusehen.
»Sie haben vor zwei Tagen erst begonnen.«
»Gut.« Ich versuchte meine Stimme unter Kontrolle zu halten. In meinem Inneren brodelte es. »Sagen Sie mal, welches Buch fehlt denn hier?«, fragte ich und legte zwei Finger in die Lücke.
»Wo 237. Meinen Sie das?«
»Exakt.«
»Es muss ebenfalls von Woolrich sein, sehen Sie, weil Wo 236 und Wo 238 auch beide von Woolrich sind.«
»Wie es heißt, möchte ich wissen«, sagte ich ein wenig schärfer. »Der Autor interessiert mich nicht.«
»Das muss ich im Büro nachsehen.«
»Tun Sie das. Warten Sie, sehen Sie auch gleich nach, wer es ausgeliehen hat.«
»Das geht nicht. Diese Auskunft unterliegt dem Datenschutz.«
»Vielleicht Steinfeld selbst?«, fragte ich.
»Vielleicht«, gab Frau Kuhn vorsichtig zurück.
Ich verbrachte die Zeit des Wartens mit dem Studium der anderen Etiketten. Das System war leicht durchschaubar. Ich hätte aber im Traum nicht gedacht, dass es so viele Bücher auf der Welt gibt. Dabei sind es ja sogar noch viel mehr. Denn unsere Stadt ist eine kleine Stadt. Noch dazu in der Eifel. Wer um Gottes Willen soll das alles lesen, fragte ich mich. Und wann? Und wozu?
Als Frau Kuhn zurückkam, verkündete sie mit einem gewissen Stolz, als habe sie das Buch
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