Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
beschwörenden Satz: »Wenn du, o Mond, in der Lage bist, riesige Ozeane und so weiter und so weiter« und kehre eilig an den Tisch zurück.
Die dicke Theresa betrachtet mich verwundert.
»Keine Sorge«, erkläre ich ihr. »Ich bin nicht mondsüchtig. Aber Erich hat das immer so gemacht. Ich fühle mich der Tradition verpflichtet. Und außerdem, der Mond hat einen guten Einfluss auf den Kohl.«
Sie ist sichtlich gerührt von der Intensität unserer Freundschaft. Es läuft alles prima. Sie merkt nichts. Aus juristischen Gründen will sie aber selbst nichts essen, sondern mir nur zusehen. Sie spricht von Neutralität und Loyalität, aber ihr läuft dabei das Wasser im Mund zusammen, das ist nicht zu übersehen. Sie muss die schmalen Lippen zusammenpressen. Und sie sieht mich dabei wieder so seltsam aus den Augenwinkeln an. Sie wird doch nicht? Ich verwerfe den Gedanken und greife zu. Ich will es hinter mich bringen, den Kohlpudding und die dicke Theresa.
Kaum befindet sich die Menge, die eine Gabel tragen kann, in meinem Mund, gerate ich ans Würgen. Mit der Hand vor dem Mund laufe ich ins Bad. Mein Kohlpudding schmeckt völlig anders als Erichs. Extrem anders. Das verstehe ich nicht.
Ich kehre zurück und torkele an den Tisch. Theresa sitzt dort nicht mehr. Sie steht am Eisengitter neben der Zypresse, die die defekte Stelle verdeckt. Sie will mir zu Hilfe eilen, sie stößt sich ab mit aller Kraft, das Gitter bebt, sie erstarrt, sie dreht sich um, sie kontrolliert, sie tastet, sie fühlt, sie begreift.
Wie ein Model für Übergrößen kommt sie schließlich auf mich zu und lächelt verführerisch. »Mit Kohlpudding hat er Sie also all die Jahre einmal im Monat gequält.«
Was soll ich dazu sagen? Ich würge.
»Wie haben Sie das nur ausgehalten, Sie Ärmster?«
Ich würge.
»Anfangs war es nur der Tag selbst, nicht wahr? Später kamen die Tage davor und danach hinzu. Tage der Erwartungsangst und Rekonvaleszenz. Und dabei blieb es nicht. Sie haben sich hineingesteigert. Kohlpudding wurde zu Ihrer fixen Idee. Übrig blieben zum Schluss vielleicht fünf unbeschwerte Tage im Monat.«
Ich würge.
»Aber die waren es wert.«
Ich würge.
»Wegen dieser Dachterrasse, nicht wahr?«
Ich muss während des Würgens genickt haben, natürlich ohne es zu wollen.
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, fährt sie fort und macht es sich wieder am Tisch bequem. Dieses Mal direkt neben mir. Unsere Arme berühren sich. »Ich lasse Sie auffliegen oder ich ...«
»Oder?«, frage ich mit erstickter Stimme.
Sie lächelt und ihre Augen versinken zwischen zwei dicken Falten. Sie rückt noch ein bisschen näher an mich heran. Da ist er wieder, der Geruch. Meine Ahnung hat mich nicht betrogen. Ein Schauer überläuft mich kalt. Ich gefalle ihr. Ich gefalle immer den falschen Frauen.
Ich werde das Rezept verbessern, die Gewürze weglassen, denke ich, ich werde die Mondanbetung seelenvoller gestalten, es wird schon irgendwie gehen. Es muss gehen. Es ist nur einmal im Monat. Die anderen siebenundzwanzig Tage gehören mir!
Aber das ist ein Irrtum, denn Theresa van Dobben bezieht nach einiger Zeit meine alte Wohnung und klopft von nun an täglich an meine Tür.
Second Hand
Selten fand Margret Lux Geld in den Taschen. Meist holte sie nur benutzte Taschentücher, abgestempelte Straßenbahntickets, Kekskrümel oder lose Bonbons aus den Seitentaschen, Brusttaschen oder Innentaschen der alten, gebrauchten Kleidungsstücke hervor, die von mildtätigen Mitbürgern gespendet worden waren. Und wenn sie doch einmal Geld fand, das war Ehrensache, wurde es in eine Spardose gesteckt. Davon wurde am Ende des Jahres die Weihnachtsfeier des Vereins bezahlt.
Margret arbeitete zusammen mit fünf anderen Frauen mittleren und fortgeschrittenen Alters in einem Secondhandshop. Ehrenamtlich. Dreimal in der Woche, dienstags, mittwochs und freitags von 16 bis 18 Uhr im Verkauf.
Die angelieferte Kleidung wurde zunächst fachmännisch begutachtet. Nicht mehr tragbare Ware wanderte in die Kleiderkammer. Gut erhaltene Mäntel, Jacken, Pullover, Blusen oder Hosen wurden, nachdem die Taschen leergeräumt waren, von den Frauen gewaschen oder in die Reinigung gebracht. Die Reinigungsgebühren kamen später durch den Verkauf wieder herein. Der Erlös ging an den örtlichen Integrationskindergarten.
Die saubere Kleidung wurde nach Art, Größe und Farbe sortiert und mit Preiszetteln versehen in die Regale gestapelt oder auf Bügel gehängt. Den kleinen Laden, früher
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