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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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sein Ohr flüsterte, warum man sie verstoßen hatte.
    Am anderen Morgen sprach Josef: »Hab keine Angst. Ich jage dich nicht fort. Ich weiß, von wem dieses Kind ist.«
    »Und von wem?«, wollte Maria wissen.
    »Eine Stimme sagte mir letzte Nacht, es sei vom Heiligen Geist«, sagte er und lächelte. Der Heilige Geist ist für keinen Mann dieser Welt ein Grund zur Eifersucht.
    Es sprach sich in Nettersheim herum wie ein Lauffeuer, dass Josef, der Zimmermann, die schwangere Maria bei sich aufgenommen hatte, und niemand wollte mehr sein Haus betreten und ihm Arbeit geben. Seine Söhne verloren ihre Freunde und verfluchten ihre Stiefmutter im Stillen. Aber Maria war eine gute Köchin und gewann mit ihren Speisen die Herzen der immer hungrigen Jungen zurück. Sicher auch, weil sie manch besänftigendes Kraut unbemerkt unter ihr Essen mischte. Aber Respekt verschaffte sie sich, als sie erfuhren, dass Maria alles eigenhändig zusammengeklaut hatte.
    Als Maria viel zu unbeweglich war, um noch selbst zu stehlen, beriet sie sich mit Josef. Der weigerte sich standhaft. »Lieber verhungere ich!«
    »Das kannst du machen«, sagte Maria. »Deine Söhne etwa auch?«
    Da gab Josef nach.
    Marias Plan war gut: Simon und Jakobus sollten ausspähen, Josef mit einem Gespräch ablenken, und der kleine und flinke Joses zugreifen. Weizen und Gerste, Hirse und Linsen, Feigen und Honig wurden ihre Beute, die Maria zu wunderbaren Speisen verkochte.
    Josef und seine Söhne mussten heimlich Schafe melken und für den Sonntagsbraten des Nachts ein Lamm von der Weide stehlen, sobald der Schäfer von Marias Kräutertrunk eingenickt war.
    Aber Maria wusste auch, dass sie irgendwann erwischt werden würden. Und während sie noch überlegte, was zu tun sei, wurde eine Volkszählung ausgerufen. Jeder Mann sollte mit seiner Familie in seinen Geburtsort gehen, um dort erfasst zu werden. Josefs Geburtsort war Blankenheim. Maria war noch nie in Blankenheim gewesen. Blankenheim, hatte sie gehört, war eine Reise wert. In Blankenheim konnte man sicher genauso gut stehlen wie in Nettersheim, wenn nicht noch besser.
    Noch in der gleichen Nacht befahl sie Josef und seinen Söhnen zwei Esel aus einem Stall hinter dem kleinen Hügel zu stehlen. Auf dem jüngeren Tier ritt sie selbst. Den alten, klapprigen teilte Josef sich mit seinen Söhnen und dem Gepäck. Nach wenigen Kilometern legte sich der alte, klapprige Esel hin und starb auf der Stelle. Von nun an führte Josef Marias Esel an einem Seil, während die drei Jungen jammernd hinter ihnen herstolperten. Um ihnen die Zeit zu vertreiben, erzählte Maria ihnen sämtliche Geschichten aus dem Alten Testament herauf und herunter.
    Es war schon spät in der Nacht, als sie endlich in Blankenheim eintrafen. Aber keine der Herbergen, in denen sie um eine Unterkunft baten, hatte genügend Platz für fünf Personen oder war nur halbwegs für eine bevorstehende Geburt ausgestattet. So landeten sie schließlich in einem kleinen Stall, wo noch in der gleichen Nacht das Kind zwischen Schafen, Ziegen, Kuh und Ochs zur Welt kam.
    Ein paar Tage zu früh, es sollte erst am 31. Dezember kommen. Sicher wegen der Aufregung, die eine weite Reise durch unwegsames Gelände mit sich bringt. Auch mochte die Reiterei auf dem Esel schuld daran gewesen sein.
    Als der Moment gekommen war, schickte Josef seine Söhne nach draußen und stand Maria bei. Er war es, der als Erster das Kind in seinen Händen hielt. Entsetzt starrte er auf das schreiende Bündel und ließ es ins Stroh fallen.
    Maria hob den Kopf. »Fehlt ihm etwas?«
    »Ich glaube schon«, murmelte er.
    »Was denn?«
    »Es ist ein Mädchen!«
    »Wie schön!«, rief Maria erfreut aus. Insgeheim hatte sie sich gewünscht, es sei ein Mädchen. Söhne hatte sie genug. Sie nahm das Kind in ihre Arme und küsste es. »Ist es nicht süß?« Josef nickte. »Sieht es nicht irgendwie heilig aus?«
    »Kein Wunder, bei dem Vater«, meinte Josef. »Wie sollen wir es nennen? Maria, nach dir, was meinst du?!«
    »Auf keinen Fall!«, protestierte Maria.
    Auch das Kind schien nicht einverstanden, es begann aus Leibeskräften zu schreien.
    Als sie den Lärm hörten, kamen Jakobus und seine Brüder hereingelaufen und ein Wettstreit begann.
    Jakobus wollte das Kind Rahel nennen. »Wie die zweite Frau des Jacobus.«
    Simon bestand auf Zippora. »Wie die Frau des Moses.«
    Joses schließlich wollte, dass es Sarah hieß. »Wie die Gattin Abrahams.«
    Das Kind schrie weiter wie um sein Leben. Obwohl

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