Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
Seidenpapier befindet.
Ihre Beklommenheit wächst.
Sie laufen vom Esszimmer zurück in den Flur und hinauf in den ersten Stock. In den Bade-, Arbeits- und Gästezimmern ist nichts Auffälliges festzustellen. Dann endlich stoßen Sie die Tür zum Schlafzimmer auf und setzen einen Fuß in das Allerheiligste.
Sie stolpern über eine blutverschmierte Holzkeule und ein Fellmesser. Nicht weit davon entfernt liegt Ihre Freundin Margit halbkniend, mit einer klaffenden Wunde im Genick, in dem granatroten Abendkleid vor dem blutüberströmten Doppelbett. Er hatte es ihr also doch gekauft! Auch hier – wie auf den Tellern – wieder alles seit Stunden angetrocknet.
Im Bett liegt einsam und verlassen ein sehr großer Plüschhase, weiß mit schwarzen Flecken, in dessen Fell Heuhalme stecken. Er hat auch von dem Blut abbekommen.
Auf der Frisierkommode liegt ein verpacktes Geschenk mit Ihrem Namen drauf, also meinem, Sie verstehen? Da ich Trauzeuge war, schenkten sie mir anlässlich ihres Hochzeitstages auch immer etwas. Sie hatten sich durch mich kennen gelernt.
Natürlich lassen Sie das für Sie bestimmte Geschenk in so einer Situation erst einmal liegen, stoßen einen Schrei aus und eilen panisch die Treppe wieder hinunter.
Nun geht es ab auf den Hof.
Dort gibt es – auf Holzbeinen aufgebaut und nebeneinander aufgereiht – dreißig gut besetzte Kaninchenställe. In jeder Box sitzt ein Kamerad und mümmelt friedlich vor sich hin. Nein, eine einzige, die letzte, scheint unbewohnt, denn die Türe hängt weit offen in den Angeln. Aber das bemerken Sie natürlich nur nebenbei.
Im angrenzenden Schuppen, wo Sie als Letztes etwas zu finden hoffen, stoßen Sie neben den üblichen Gerätschaften nicht etwa auf einen von der Decke hängenden Tom, sondern auf ein frisch abgezogenes Kaninchenfell am Haken. Ein Belgischer Riese, weiß mit schwarzen Flecken, vom geronnenen Blut einmal abgesehen. Sie schreien schon wieder und haben keine Ahnung, was geschehen ist?
Ich schon.
Alle Achtung! Welch ein Rätsel hatten sie mir da aufgegeben. Dieses Mal haben sie sich selbst übertroffen. Für meinen Geschmack waren sie sogar etwas zu weit gegangen. Aber das muss ich ihnen lassen, welch eine Inszenierung!
Ich werde Ihnen sagen, was da passiert ist.
Ich bin nicht nur deswegen dazu sehr geeignet, weil ich, wie meine Freunde, ein passionierter Rätselfreund bin. Ich kann zum Beispiel in der Beilage meiner Tageszeitung, dem
Kölner Stadt-Anzeiger
, die kleinen Kriminalgeschichten rund um »Inspektor Carter« lösen, ohne die Zeitung auf den Kopf stellen zu müssen. Aus dem Stand!
Ich kenne die beiden auch genau. Margit ist –
war
muss ich ja nun ehrlicherweise sagen – der verspielte, risikofreudige Typ. Eigenschaften, die Tom nicht immer an ihr liebte.
Er ist – oder war, keine Ahnung – eher langsam und bedächtig, aber auch misstrauisch und stur. Und das nicht immer grundlos.
Ich werde Ihnen also jetzt die Lösung sagen, denn ich nehme an, Sie kommen von allein nicht drauf.
Irgendetwas musste Margit doch an ihrem Hochzeitstag kochen. Essen gehen war nicht drin. Die Zeiten waren schlecht. Das zurückliegende Jahr war unverhältnismäßig teuer für die beiden gewesen. Eine Autoreparatur und eine neue Heizung für ihr Häuschen hatten ein tiefes Loch in die Haushaltskasse gerissen. Es machte ihr nichts aus, am Essen zu sparen. Normalerweise. Aber nicht am Hochzeitstag.
Und einen Hochzeitstag ohne Fleisch, das wollte sie Tom nicht bieten. Im Laden kostete so ein Tier! Und man wusste auch nie, woher es kam, womit es gefüttert worden war, wie alt und zäh es war. Nicht so in ihrem Hinterhof. Dort hockten dreißig Stück frisch, bei bester Gesundheit und obendrein nach ihrer Meinung ziemlich sinnlos herum. Auf eines mehr oder weniger konnte es nicht ankommen!
Tom machte das doch auch, hin und wieder, wenn eines seiner Lieblinge nicht genügend Punkte bei der letzten Schau bekommen hatte. Unter 98,5 Punkte, das war so gut wie das Todesurteil.
Tom tat es dann mit einem sauberen Handkantenschlag, exakt dort, wo der Schädel ins Genick überging, mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. Überirdisch. Ja, überirdisch, und irgendwie illuminiert, auf jeden Fall unbeirrbar.
Man konnte auch eine Holzkeule oder einen Holzhammer verwenden, hatte er Margit und mir erklärt, wenn man ein Anfänger war. Danach musste sofort die Halsschlagader geöffnet werden, damit das Opfer ausbluten konnte, bevor ihm das Fell von den Hinterläufen bis
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