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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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Hunger oder Ansteckung. Aber die Symptome blieben, wie sie waren. Das war das Ende alle Hoffnungen.
    Sie wollte eines Tages reich sein. Die Frau eines Steuereintreibers oder eines Statthalters. Sie wollte nicht ihr Leben lang im Staub am Straßenrand stehen und Kräuter verkaufen.
    Aber welcher reiche Mann auf dieser Welt würde ein armes Weib zur Frau nehmen, die ein schmuddeliges, rotznäsiges, plärrendes Kind hinter sich herzog?
    Tagelang überlegte Maria, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer der Vater ihres Kindes sein könnte.
    Einmal träumte sie von einem Engel, der am Fuße ihres Strohlagers stand und in einer Sprache zu ihr sprach, die sie kaum verstand. Worte wie Ehre und Auserwähltsein, Gnade und Freude fielen. Das sah Maria völlig anders.
    Und was würden ihre Eltern dazu sagen? Sie waren streng und gläubig. Als ihre Mutter sie das erste Mal beiseite nahm und aufgeregt fragte, wie das um Himmels willen passieren konnte, antwortete Maria wahrheitsgemäß: »Ich weiß es nicht.«
    Ihre Mutter hob mahnend den Zeigefinger und erinnert sie an das 8. Gebot.
    »Ich lüge nicht«, beteuerte Maria.
    Ihre Mutter gab keine Ruhe. Irgendwann war Maria die lästige, bohrende Fragerei leid und antwortete einfach: »Der Heilige Geist war es.«
    Erst verschlug es ihrer Mutter die Sprache, dann hob sie wieder den Zeigefinger und sagte mit tonloser Stimme: »Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht ….«
    »Ja, ja, ich kenne das zweite Gebot«, unterbrach Maria sie trotzig. »Aber, wenn es doch so ist.«
    Schnell machte die Neuigkeit die Runde in Nettersheim. Entsetzen machte sich breit. Angst. War das ein Zeichen? Und wenn – wofür? Für eine nahende Hungersnot oder eine neue Sintflut?
    Marias Mutter beugte sich nach einer Weile dem enormen gesellschaftlichen Druck und verstieß ihre eigen Fleisch und Blut.
    Maria, mit einem kleinen Bündel auf dem Rücken, irrte verzweifelt umher. Tagsüber versteckte sie sich in verfallenen Häusern. Nachts mischte sie sich unter die Pilger, wanderte mit verhülltem Antlitz durch die dunklen Gassen. Niemand wollte ihr ein Dach über dem Kopf oder zu essen geben. Türen wurden ihr vor der Nase zugeschlagen. Die Kinder holte man von der Straße, als habe Maria Pest und Cholera zugleich.
    Aber je mehr Maria geächtet wurde, je mehr wuchs ihr das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, ans Herz. Es sollte wachsen und gedeihen, doch wovon? Von den fauligen Abfällen aus der Gosse? Maria blieb nichts anderes übrig, als wieder ein Gebot zu übertreten. Sie entschied sich für das siebte.
    Als sie wieder einmal einen Apfel auf dem Markt stahl, rutschte ihr das Kopftuch versehentlich herunter, und sie wurde von einem Aufseher entdeckt, der sie mit Schimpf und Schande und Steinen nicht nur vom Marktplatz, sondern gleich aus ganz Nettersheim vertrieb.
    Maria versteckte sich am Stadtrand im dornigen Unterholz und wurde dort noch am gleichen Abend von einem Mann gefunden, der ihr seine Axt um Haares Breite ins Bein geschlagen hätte.
    »Bist du von Sinnen?!« Maria sprang hervor und legte beide Hände schützend über ihren Bauch.
    Der Mann entschuldigte sich wortreich und erklärte, er sei nur ein einfacher Zimmermann auf der Suche nach Holz.
    »Wie heißt du?«, fuhr Maria ihn an.
    »Josef«, sagte Josef.
    Josef lud Maria in sein Haus auf eine Scheibe Brot und ein Glas Wasser ein. Auch wenn sie große Furcht hatte, trieben sie der Hunger und die Sorge um das ungeborene Kind in seine Nähe. Im Schein der Öllampe, die in Josefs Haus brannte, erkannte Maria, dass er bereits ein alter Mann von mindestens 30 Jahren war. Das beruhigte sie.
    Und er schien nicht arm zu sein. Sein Haus war groß, und in der Werkstatt wartete Arbeit auf ihn. Das beruhigte sie noch mehr.
    Aber es gab da ein Problem. Josef lebte nicht allein. Drei Söhne hatte er, die er Maria vorstellte: Jakobus, Simon und Joses. Je zwei Jahre lagen zwischen ihrer Geburt.
    »Wo steckt ihre Mutter?«, fragte Maria misstrauisch.
    »Sie starb. Bei der Geburt des letzten Kindes.
    Kein Wunder, dachte Maria, dass die Söhne schlecht erzogen waren. Sie tanzten ihrem Vater auf der Nase herum. Ihnen war die strenge Hand einer gläubigen Mutter erspart geblieben. Von den zehn Geboten hatten sie noch nichts gehört. Wunderbare Kinder!
    In der Nacht legte sie sich zu Josef, um sich zu wärmen. Er schlief schon tief und fest, sein Atem war ruhig, und seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig, als Maria in

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