Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
flirteten, begnügte sich Max wieder mit einem halben Liter zum Mitnehmen und einer extra Portion Schlaf.
»Entspannen Sie sich«, sagte die Frau am Sonntagmorgen. Es war Susanne. Sie ging mit festem Schritt noch ein paar Mal hin und her, Wasser lief, Papier raschelte. »In zwanzig Minuten bin ich wieder bei Ihnen.« Sie knipste das Licht aus. Die Tür fiel hinter ihr zu. Leise Geigenmusik säuselte im Hintergrund.
Max lag in der Dämmerung auf dem Bauch, den Rücken dick eingeschmiert mit einer schweren, heißen, zähen, braunen Schicht, eingehüllt vom Duft des süß-herben Kakaos, der ihm wie eine Droge die Sinne benebelte. Beine und Po abgedeckt mit einem Handtuch. Er schloss die Augen. Zwangspause. Er wagte nicht, sich zu rühren. Falls die Schokolade erkaltete – fragte er sich – würde sie bröckeln? War das Milch- oder Bitterschokolade? Und wozu war das nun wieder gut? War Schokolade nicht zum Essen da?
Kurz darauf hörte er, wie nackte Füße auf dem gekachelten Boden tippelten und sich wispernde Stimmen näherten. Waren die zwanzig Minuten schon vorbei? Er musste eingeschlafen sein. So viel wie hier hatte er schon ewig nicht mehr geschlafen. Ein leichter Windzug streifte ihn, als laufe man um ihn herum. Dazu ein leises Kichern. Wieder Wispern. Er verstand Wortfetzen, die keinen Sinn machten, aber darunter ganz deutlich die Zahl Einundzwanzig. Als Protest brummte er ein schwaches Nein. Nein, er war die Nummer zwölf. Auch wenn er gerade nicht besonders gut zu erkennen war, er war es, Max Bröler.
Er machte den Ansatz aufzustehen, stemmte sich auf seine Hände, aber als seine Liege bewegt wurde, geschoben und gerollt, ließ er sich wieder fallen. Die Liege und er nahmen Fahrt auf, und er ließ es träge zu, konnte gar nicht anders. Es ging über holperige Schwellen, die er wie das angenehme Rattern eines Zugs empfand. Er war wie gelähmt, wie betäubt vom Schokoladenduft. Es war zu mühsam, die Augen zu öffnen, den Kopf zu heben, um zu sehen, wohin die Reise ging. Vielleicht träumte er ja auch nur.
Peterchens Mondfahrt
fiel ihm ein, und er atmete tief durch. Gleich würde er abheben.
Peterchens Mondfahrt
hatte seine Mutter ihm vorgelesen, wenn er nicht schlafen konnte, mit ihrer leisen, sanften Stimme. Und er seinen eigenen Kindern, als sie noch klein waren.
Als seien die Rollen gegen einen Widerstand geprallt, kam die Liege plötzlich zum Stehen. Das Fußteil wurde angehoben, erst nur ein wenig, als richte man ihn aus, dann wurde er steiler und steiler aufgerichtet, und Max begann den Halt zu verlieren. Moment, dachte er, hakte seine Zehen an das Ende der Liege ein, hielt sich mit den Händen am Rand fest, krallte sich in das Laken und das Handtuch, die aber ebenfalls allesamt zu rutschen begannen, konnte den Kopf immer noch nicht heben, er schien wie angewachsen.
Nach dem Durchqueren eines kleinen, luftleeren Raumes schlug etwas hart und kalt gegen sein Gesicht, seine Brust, seinen Bauch und über ihm zusammen. Max schluckte viel zu viel von der verhassten Flüssigkeit, sie drang in ihn ein, während er sich unaufhaltsam einem grün gekachelten Untergrund näherte, ehe braune Schlieren, wie ein zu dünn geratener Kakao, das Wasser verfärbten und verdunkelten. Nase, Ohren, Stirn, alles schien überzulaufen. Luftblasen wirbelten auf. Er ruderte mit Händen, Armen und Beinen, drehte und wendete sich, wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Sank er oder stieg er auf?
Wenn das das Ende war, so durchfuhr es ihn – was doch nicht sein konnte, nicht jetzt und nicht so und nicht hier in der Eifel – dann kam er wenigstens um das gefürchtete Entspannungs-Ölbad herum.
Er wusste nicht, dass dies tatsächlich sein letzter Gedanke war. Aber das weiß man ja nie.
Schritt für Schritt
Er steht in einer schmalen Grube und taucht auf und ab, und um ihn herum türmen sich frische, gelbe Lehmhaufen.
»Alfred!«
Er fährt hoch, einen Spatenstiel in den Händen, und starrt entsetzt umher. Sein Gesicht ist so rot wie das verrutschte Käppi auf seinem Kopf.
»Mathilde?«
»Was machst du da?«, herrscht sie ihn an.
»Ich … ich … ich ...«
»Nennst du das Laufen?« Sie kommt näher, watschelnd, wie es ihre Art ist zu gehen, wenn sie es eilig hat. Sie kann nicht fassen, was sie da sieht.
»Nein, natürlich nicht, aber, ich ...« Alfred wischt sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn, dabei fällt etwas Lehm vom Blatt des Spatens zurück ins Loch.
»Was soll das werden?« Sie steht jetzt mit den
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