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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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Hause. Sie machten sich jedenfalls auf den Weg dorthin, kamen aber nicht an, weil Mathilde unterwegs das Zeitliche segnete und ihnen danach nicht mehr sagen konnte, in welche Richtung sie gehen sollten.
    Kaum lag sie auf der Straße, stellte Oswald sich breitbeinig über sie und schmetterte
O sole mio
durch die stillen Straßen von Mayschoß, behauptete jedenfalls der Nachbar zu Linken. Dabei kennt Oswald gar nicht den Text. Geschweige denn die Melodie. Er kann auch kein Italienisch. Und in Italien war er auch noch nie.
    Mathilde lag auf der Straße, weil sie von jemandem erwürgt worden war. Oswald konnte das nicht gewesen sein. Er konnte sich an ihren Hals überhaupt nicht erinnern. War er dünn, war er lang, dick und kurz, faltig oder glatt? Keine Ahnung. Er hatte sie berührt, ja, natürlich, sie wollte es ja auch, aber nicht an ihrem Hals.
    Glücklicherweise beachtete man Oswald bei Gericht nicht weiter, höchstens in seiner Eigenschaft als Zeuge, da der Nachbar zur Linken zufällig ihr Ex war. Der konnte so viel beteuern wie er wollte. Er hatte ein Motiv. Ich sage nur ein Wort: Unterhalt.
    Beim zweiten Flavanoid-Ansturm auf seine Blutbahn hat Oswald wieder aufgepasst, dass er nicht mit einer Dame allein war. Es war in Boppard am Rhein. Er war schon wieder auf 180, denn er hatte die hundertste Absage auf seine Bewerbung kassiert und am Ende lag wieder eine Frau tot auf der Straße, und Oswald konnte sich wieder an nichts erinnern. Sie hieß Michaela!
    Gesungen hat er auch wieder, wie der andere behauptet, der sich Herbert nannte.
    Warum ist es am Rhein so schön
.
    Dieses Lied kennt Oswald tatsächlich, das gibt er zu. Sogar in voller Länge. Es ist nicht schwer. Der Titel wird ein paar Mal wiederholt und dann kommt:
    Weil die Mädel so lustig, und die Burschen so durstig
,
    darum ist es Rhein so schön, am Rhein so schön
.
    Michaela wurde erstochen, nicht von Oswald, aber immerhin von seinem Taschenmesser. Das musste Herbert, der leider in keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu ihr stand, ihm unbemerkt aus der Tasche gezogen haben. Das Messer trug Blutspuren von Michaela und Fingerabdrücke von Oswald und Herbert.
    Da wurde es kompliziert für Oswald. Es gab ein langwieriges Verfahren, an dessen Ende er wegen vollständiger Trunkenheit zur Tatzeit zur Rechenschaft gezogen wurde. Der Wirt der Weinstube in Boppard bestätigte, dass er zwei Flaschen Rotwein getrunken hatte, und er hatte noch am Morgen, als man ihn aufstöberte, reichlich Promille im Blut. Von den Flavanoiden war natürlich wieder einmal keine Rede. Polizisten sind Ignoranten. Richter auch.
    Denn obwohl Herbert das auch alles vorzuweisen hatte, war es Oswald, für den der Richter sich als Mörder entschied, wegen der Fingerabdrücke am Messer plus Vorstrafe wegen Unterschlagung plus einer Akte aus Mayschoß. Dabei hatte das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.
    Er bekam fünf Jahre. Fünf Jahre kein Besuch! Fünf Jahre keine Flavanoide! Der einzige Tee, der Oswald in seine milchige Plastiktasse geschüttet wurde, war Pfefferminztee. Als er um Schokolade oder roten Traubensaft bat, lachte man ihn aus.
    Als Oswald entlassen wurde, machte er um Weinstuben aller Art einen weiten Bogen und trank auch zu Hause zunächst keinen soliden deutschen Rotwein. Nach ein paar Tagen das erste Glas, die erste Flasche, nur langsam kam er wieder zu Kräften. Wochen später wagte er dann einen neuen Selbstversuch. Die dritte Metamorphose verlief untypisch. Die lange Abstinenz musste schuld daran sein.
    Als Oswald sich das erste Mal nach seiner Gefangenschaft mit einem gewissen Quantum Flavanoide traute, seine Wohnung zu verlassen, im Dunkeln und ohne Taschenmesser, und nach einer Frau Ausschau hielt, achtete er darauf, dass er keinen Zeugen hatte.
    Aber keine Frau, sondern ein Mann trat aus einer dunklen Ecke hervor und kam auf ihn zu. Es war jener Mann aus Boppard, für den Oswald gesessen hatte. Wie hieß er noch gleich?
    »Hallo Oswald! Ich bin der Herbert! Kennst du mich noch?«
    »Und ob!«
    »Du bist alt geworden, Oswald.«
    Kein Wunder, fünf Jahre keine Flavanoide, dachte Oswald. Aber er machte sich nicht die Mühe, diesen Umstand Herbert zu erklären. Sie schlenderten durch die Stadt, sprachen über alte Zeiten und blieben schließlich auf der Römerbrücke stehen, dem ältesten römischen Brückenbau nördlich der Alpen.
    Als Oswald Herbert gegen das Geländer presste und zu einem späten Geständnis zwingen wollte, wurde dieser plötzlich

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