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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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Sonderkommission »Herzenswunsch« nur ein paar Telefongespräche, um alle Fußgängerzonen, den Weihnachtsmarkt, und vor allem unseren lokalen Rundfunksender einzuschwören, an den kommenden Tagen jeweils morgens, mittags und abends zu einer übereinstimmend vollen Stunde zehnmal
Ihr Kinderlein kommet
hintereinander abzuspielen.
    Bis zum Heiligen Abend ließ die Täterin uns schmoren, dann ging sie wieder auf Kinderfang. Nicht ohne uns. Dieses Mal hatte sie die Stadtbücherei erwählt. Wie der Zufall es wollte: mein Standort. Trotzdem klug, denn hier waren Kinderwünsche nur geliehen.
    Während
Ihr Kinderlein kommet
aus dem Lautsprecher dudelte und die Mutter zwischen Regalen verschwunden schien, sah ich – eigentlich eher zufällig und aus den Augenwinkeln, wie eine relativ große Gestalt im langen, schwarzen Mantel sich zu einem Mädchen herunterbeugte und auf es einredete, ihm mit der einen Hand ein Buch, eine CD und ein Spiel entgegenhielt und es mit der anderen an der Schulter berührte.
    Ich spürte, wie meine Hand sich zu einer Faust ballte, wie mein Puls in den Schläfen schlug. Ich näherte mich auf Zehenspitzen, ich flüsterte in mein Funkgerät: »Ich habe sie, ich lasse sie die Bücherei verlassen, ihr wartet draußen, wir sind diskret, kein Massenauflauf, pssst …«
    Das Mädchen trug die Geschenke fest an die Brust gepresst, während die schwarze Gestalt es mehr oder weniger vor sich herschob. Keinem außer mir wurde die Situation bewusst. Da sieht man es wieder, dachte ich wütend.
    Ich folgte den beiden durchs Treppenhaus. Vor dem Eingang sah ich die bekannten Wagen stehen, Stoßstange an Stoßstange am Straßenrand – und atmete auf. Es war so gut wie geschafft.
    Die Frau war ein Mann mit ruhelosen, blassen Augen, der das Mädchen sofort losließ und die Hände abwehrend hob. Die Kleine wurde von einer Beamtin in Obhut genommen und zurück in die Stadtbücherei geführt.
    Der Mann sah den beiden nach, und dann begann er unaufgefordert mit einem Geständnis. Er hörte gar nicht wieder auf mit reden.
    Vor vier Jahren sei er von seiner Frau verlassen worden, und dürfe aufgrund eines fatalen Richterspruches seine Kinder nicht mehr sehen. Dabei habe er sich nichts zu Schulden kommen lassen. Der Neue seiner Frau sei ein Anwalt, gegen den habe er nicht die geringste Chance. Er sei der Vater eines Jungen und eines Mädchens. Sechs und sieben Jahre alt. Henning und Sophie hießen sie, sagte er unter Tränen. Sie seien diesen Sommer umgezogen, und er wisse nicht einmal, wo sie nun wohnten.
    Immer wenn dieses Lied gespielt wurde,
Ihr Kinderlein kommet
, könne er nicht mehr an sich halten. Er habe den Kindern aber kein Haar gekrümmt. Er habe einfach wenigstens vor Weihnachten 24 Stunden lang noch einmal fühlen wollen, wie es ist, Vater eines Kindes zu sein.
    Auch wenn er uns leid tat, mussten wir ihn natürlich zunächst in U-Haft nehmen, wo er sich noch in derselben Nacht in seiner Zelle erhängte. Schöne Heilige Nacht. Aber wir haben das jetzt öfter, diese völlig verzweifelten Väter. Nur an Weihnachten ist eben alles noch viel entsetzlicher.
    Meine Frau nahm das alles sehr persönlich. Sie fühlte sich schuldig. Es dauerte fast bis zum Sommer, ehe sie sich ganz davon erholte. Es versteht sich von selbst, dass bei uns zuhause seitdem keine Weihnachtslieder mehr gespielt werden. Damit können wir leben. Das trifft nur uns zwei, meine Frau und mich, denn wir haben bis jetzt keine Kinder. Ich glaube, wir lassen es auch dabei. Falls es mal zur Scheidung kommt. Ich bin da vorsichtig geworden.

Tea For Two
    Kaum hatte Thomas Ashfield den Pfeil losgelassen, machte dieser sich mit einem sirrenden Geräusch auf den Weg, jedoch, kurz bevor er sein Ziel erreichen konnte, erfasste ihn eine Bö, warf ihn aus der Bahn, so dass sich seine Spitze anstatt in die Attrappe aus Maisstroh in eine Person aus Fleisch und Blut bohrte, bei der es sich um Edward, vierundzwanzig Jahre alt und Bruder des Schützen, Zwillingsbruder sogar, handelte.
    Edward und Thomas Ashfield, einzige Erben und Bewohner von Shrewsbury Castle in der Grafschaft Shropshire in den West Midlands, waren nur anhand ihrer Augen voneinander zu unterscheiden. Edward hatte kleine, dunkelbraune Knopfaugen, Thomas große, wasserblaue Augen.
    Nun schien durch die Windbö ausgerechnet eines der Wiedererkennungszeichen für immer zerstört, denn der Pfeil steckte mitten in Edwards linker Pupille, während das rechte dunkelbraune Knopfauge ohne Wimpernschlag in

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