Die Eifelgraefin
ihre Eltern und Geschwister, denn sie wusste, dass auch in Blasweiler die Pest ausgebrochen war. Aber auch Kummer, weil sie nicht wusste, wie es wohl Roland ergehen mochte. Wieder und wieder betete sie zu Gott und der Jungfrau Maria, dass ihm auf seiner Wanderschaft nichts zustoßen und die Pestilenz ihn und ihre Familie verschonen möge. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto unruhiger wurde sie. In den vergangenen Nächten hatten schlimme Träume sie heimgesucht, nun jedoch fühlte sie sich mit einem Mal vollkommen leer und ausgelaugt.
Leise, um ihre Herrin nicht zu wecken, stand Luzia auf und trat an das mittlere Fenster, von dem aus man den bestenAusblick über die Landschaft hatte. Die Hügel und Wälder lagen in silbrigem Zwielicht vor ihr, der fast gerundete Mond erleuchtete das Land beinahe taghell, doch immer wieder zogen Wolken vorüber und warfen geheimnisvolle Schatten. Obwohl die sommerliche Nachtluft warm war, fröstelte Luzia leicht und rieb sich die Arme.
Plötzlich vernahm sie ein Poltern und Quietschen und horchte auf. Es klang, als würde das Tor geöffnet. Aber mitten in der Nacht? Das konnte nur bedeuten, dass jemand dem Burgherrn eine überaus wichtige Botschaft zu überbringen wünschte – oder dass Johann von Manten um Einlass bat. Er war schon mehr als einmal zu den unchristlichsten Zeiten in Kempenich eingetroffen.
Kurz warf Luzia ihrer Herrin einen Blick zu. Sie wusste mittlerweile recht genau um die Gefühle, die Elisabeth dem Ritter entgegenbrachte. Doch das war es nicht, was sie nun beschäftigte. Wenn Johann – oder ein Bote – von den Wachen eingelassen worden war, bedeutete das, dass nun das Tor offen stand.
Ohne weiter nachzudenken, nahm sich Luzia ihr Kleid von einem der Wandhaken und schlüpfte hinein. Mit fliegenden Fingern zurrte sie die Verschnürungen an den Seiten fest und flocht sich dann eilig einen dicken Zopf. Wenn sie sich beeilte, konnte sie aus der Burg schlüpfen, bevor das Tor wieder verschlossen wurde. Falls nämlich der Ankömmling ein Bote war, würden die Wachmänner sicher abwarten, ob er noch in der Nacht weiterreiten wollte.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, huschte Luzia aus der Schlafkammer und die Treppe hinunter. Aus dem zweiten Obergeschoss drang ein Lichtschein, vermutlich aus derKammer, in der Craft gepflegt wurde. Im großen Saal vernahm sie gedämpfte Stimmen, war sich jedoch nicht sicher, ob eine davon tatsächlich Johann von Manten gehörte. Sie hielt sich im Schatten eines Mauervorsprungs und prüfte, ob die Außentür des Treppenhauses sich öffnen ließ.
Sie stieß sie auf und schlüpfte lautlos hindurch.
***
Johann hatte nicht erwartet, Simon noch wach anzutreffen. Doch der Burgherr saß noch im Speisezimmer über einem Krug Wein und brütete vor sich hin. Als Johann ihm knapp zwei Stunden nach Mitternacht gemeldet wurde, lud er ihn ein, sich zu ihm zu setzen.
«Was führt dich her, mein Freund? Du kannst von Glück sagen, dass die Wachen dich hereingelassen haben.»
«Ich hörte in Ahrweiler, dass auch hier die Pestilenz ausgebrochen ist», antwortete Johann und goss sich ebenfalls Wein in einen Becher. «Eigentlich bin ich auf dem Weg nach Hause, wollte mich aber vorher noch vergewissern, dass es euch gutgeht.»
«Noch, mein Freund. Noch.» Simon stützte den Kopf in seine Hände. «Drei Knechte und zwei Mägde hat es erwischt. Wir haben das Gesindehaus geräumt, um die Kranken dort unterzubringen. Von dem, was unten im Ort los ist, will ich gar nicht erst anfangen.» Müde seufzte er. «Fünfzehn Tote in zwölf Tagen. Und heute hat es meinen Pagen getroffen.»
«Den kleinen Craft?»
«Er liegt oben in seiner Kammer. Bruder Georg hat ihmvorsorglich bereits die Letzte Ölung gegeben. Es sieht schlimm aus.»
Johann sank erschöpft in sich zusammen. Er mochte den kleinen Pagen ausgesprochen gern und erinnerte sich, wie Elisabeth damals auf dem Herbstbankett mit Craft getanzt hatte. «Sonst geht es aber allen gut?», fragte er mit aufkeimender Besorgnis nach.
Simon nickte vage. «Bis jetzt, ja. Eins der Mädchen, Herzelinde, ist vor drei Tagen abgeholt worden. Die kleine Gertrud wacht bei ihrem Bruder.» Simon hob den Kopf und blickte Johann ratlos an. «Was sollen wir dagegen tun? Wie können wir diese Krankheit aufhalten?»
Johann trank den Wein aus, ohne ihn zu schmecken, und stellte dann den Becher wieder auf den Tisch. «Ich weiß es auch nicht, Simon.» Er stand auf und ging zur Tür. «Ich gehe zu Bett, und das
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