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Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)

Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)

Titel: Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Pásztor
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nach hinten, bis mein Rücken die Wand berührt, hülle mich in meine Wolldecke und warte auf die nächste Überraschung.
    Gerald beginnt zu sprechen. Jesus, sagt er, habe vierzig Tage in der Wüste verbracht, ein Mönch namens Bodhidharma ganze neun Jahre in einer Höhle, und dazu noch mit dem Gesicht zur Wand, und von einem berühmten indischen Poeten sei überliefert, er habe jahrelang so still gesessen, dass weiße Ameisen einen Hügel über ihn bauten. Aha, die Stunde der religiösen Unterweisung hat geschlagen. Mir ist alles recht, solange es mich nur am Nachdenken hindert, sogar biblische Geschichten würde ich mir jetzt anhören, Erleuchtungsmythen oder hinduistische Götterdramen. Aber nein, es war wohl nur die Einleitung, Gerald kommt schnell auf unsere aktuelle Situation zu sprechen.
    »Auch wenn es bei Ihnen nur zwei Tage sein werden und keine neun Jahre – Sie sitzen hier auch in einer Art Höhle. Jeder ist für sich allein, aber zusätzlich haben Sie noch die Unterstützung durch die anderen Meditierenden. In diesem Raum des Schweigens kann der Geist zur Ruhe kommen. Stellen Sie sich einen See an einem Sommerabend vor. Die spielenden Kinder sind längst fort, der Wind hat sich gelegt, das Wasser beruhigt sich allmählich, und Sand und Schlamm setzen sich am Boden ab. Der See ist jetzt so still und klar, dass sich Himmel und Wolken auf seiner glatten Oberfläche spiegeln können. Nun kann man bis auf den Grund des Sees blicken. Genau das ist es, was Meditation, Alleinsein und Schweigen für unseren Geist und unser Herz tun. Wir erkennen die Natur der Dinge. Das ist die Glückseligkeit des Buddha.«
    Von der Männerseite kommt ein zarter Schnarchton, der mit jedem Atemzug lauter wird. Ich öffne ein Auge und sehe, wie gegenüber jemand seinen Sitznachbarn sanft anstößt. Das Geräusch verstummt. Ich schließe mein Auge wieder und versuche mir meinen Geist als See vorzustellen und auf seinen Grund zu schauen, aber mein See hat die Farbe von altem Tuschewasser, und an seinem Ufer vertrocknen graubraune Farbschollen in einem Netz aus klaffenden Rissen. Aber wenigstens sind die Kinder alle weg. Ich habe keine Kraft mehr für Gedankenspiele. Ich bin müde.
    Gerald hat in der Zwischenzeit von den inneren Bewegungen des Geistes, seinen Ablenkungsmanövern und seinen Fluchttendenzen erzählt. Ich hätte jetzt lieber eine kleine Ermutigung, so etwas wie »Morgen wird alles besser, wo heute noch trübe Brühe steht, wird morgen klares Wasser sein«, aber mein Wunsch wird nicht erhört. Geralds abendlicher Vortrag endet mit den Worten »Schweigen ist eines der größten Geschenke, die wir uns selbst und anderen machen können«, er wünscht uns eine angenehme Nachtruhe und erinnert noch einmal daran, dass morgen die erste Meditation um fünf, also dreißig Minuten nach dem Weckruf beginnt.
    Es ist kurz vor halb zehn. Beim Zähneputzen höre ich, wie jemand ins Bad kommt und sich neben mich an das zweite Waschbecken stellt. Wie seltsam, nicht nachzusehen, wer es ist, sondern lieber gebannt zu verfolgen, wie der Zahnpastaschaum im Abflusssieb verschwindet. Lydia ist noch nicht da, als ich ins Zimmer zurückkehre. Ich verkrieche mich unter meinen Decken und schaffe es nicht einmal, mir zu Ende zu überlegen, wann ich wohl das letzte Mal in meinem Leben zu dieser Uhrzeit ins Bett gegangen bin.

2.
    Wie sich der Weckruf in einem buddhistischen Seminarhaus anhört, erfahre ich an diesem Morgen nicht, weil mich zwei neongelbe Silikonkügelchen in meinen Gehörgängen von der Außenwelt isolieren und mir Frieden und Stille vorgaukeln. Ich hatte sie nach ausgiebiger Betrachtung von Lydias Atem gegen Mitternacht einsetzen müssen, und ich gebe zu, lieber noch hätte ich ihr ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Selbst verstöpselt drangen ihre Bässe noch zu mir durch, während ich mich durch milchige Unterwasserlandschaften träumte, was vermutlich auch dem Druck auf meinen Ohren geschuldet war. Immerhin, ich konnte schlafen.
    Ich schrecke hoch, als plötzlich das Licht im Zimmer angeht, und sehe Lydia wie in einem Stummfilm ihr Handtuch und ihren Kulturbeutel nehmen und den Raum verlassen. Es ist fünf Minuten nach halb fünf, und das Zimmer ist eiskalt. Als Erstes schließe ich das Fenster und drehe die Heizung auf, dann entferne ich meine Ohrstöpsel und preise meine Intuition, die mich veranlasst hat, sie mitzunehmen. Die Packung mit den verbliebenen drei Pärchen lasse ich als stummen Vorwurf auf dem großen Tisch liegen

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