Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
MP3-Players herumspielen und sage zu ihm, für mich wäre es völlig in Ordnung, wenn er lieber Musik hören möchte. Er nickt und setzt sich die Stöpsel ein und schließt die Augen, er rutscht mit dem Hintern nach vorn, bis seine Knie das Armaturenbrett berühren, und ich erinnere mich, dass Simons Knie auch fast bis dorthin reichten, und ich denke, dass dieses Auto wirklich zu klein ist.
Mein Kaffee war gut, aber das Brötchen packe ich nach dem ersten Bissen wieder zurück in seine Plastikfolie und werfe es hinter mich auf die Rückbank. Das Stück Papier in meiner Handtasche ist immer noch da, wo ich es letzte Nacht hineingesteckt habe, ich muss nicht hinsehen, um es zu finden. Ich warte nur noch auf den perfekten Moment, einen, der sich schicksalhaft und erhaben anfühlt, aber es kommt keiner, und am Ende wähle ich einen, der genauso ist wie alle anderen davor. Der Fahrtwind brüllt ins Auto, als ich das Fenster öffne, der gewaltige Druck biegt mir meinen hoch ausgestreckten Arm nach hinten, aber das muss ich tun, damit mir der Zettel nicht hinter dem Rücken ins Wageninnere zurückfliegt, die Mutter aller Slapsticknummern. Ich halte die Kälte aus, solange es geht, dann hole ich meinen Arm wieder zurück ins Warme, und die Fensterscheibe gleitet nach oben und kappt den Lärm mit einem Geräusch, das mich an Helmuts »Fump« erinnert. Und dann ist es still, und es ist eine Illusion, dass der Schmerz nachlässt, bloß weil man glaubt, das Richtige zu tun, oder weil man plötzlich zwei freie Hände hat.
»Du hast dein Handy nicht gehört«, sagt Benni oder Vincent zu mir, jetzt wieder aufgerichtet. Einer der Kopfhörer steckt noch in seinem Ohr, der andere baumelt ihm vor der Brust, sein Blick ist vorwurfsvoll. Ich greife nach meiner Tasche und hole das Telefon heraus, ich höre die Nachricht ab, die auf der Mailbox hinterlassen wurde, ich höre sie ein zweites Mal, und dann sage ich zu Benni oder Vincent, es täte mir sehr leid, aber ich würde ihn tatsächlich an der nächsten Raststätte wieder rauswerfen, weil ich nämlich jetzt in die entgegengesetzte Richtung fahren müsse, genauer gesagt in die Schweiz.
»Schweiz«, wiederholt Benni oder Vincent, und es folgt ein lang gezogenes Okay und dann die Frage, ob ich Notarzt oder so was wäre. Seine Kornblumenaugen sind wirklich wunderschön, und ich sage Nein, ich wäre Yogalehrerin, und nach einer Weile sage ich Quatsch, das wäre ich nicht, ich wäre Künstlerin und hätte wahrscheinlich einen Superauftrag in der Schweiz, Wände bemalen, und wenn er wolle, könne er auch gerne mitfahren, aber nur unter der Bedingung, dass er schweigt, die ganze Fahrt lang.
Danksagung
Ich danke Wolfgang Seifert, Fred von Allmen und S. N. Goenka für die Inspiration durch Vorträge, Artikel und Meditationswochenenden.
Das Buch
Das Schweigewochenende, das Mila auf Anraten ihrer Therapeutin besucht, wird zu einer echten Herausforderung: seltsame Menschen, die man nur stumm betrachten kann, unbequeme Sitzpositionen, exotische Anleitungen. Dazu die Stille, die so viele unerwünschte Einsichten bereithält. Und dann noch dieser Simon, der Mila überredet, ihn nach dem Seminar ein Stück mit dem Auto mitzunehmen.
Dass die Stille sie direkt in ein Hotelzimmer führen würde, haben die beiden nicht erwartet. Sie verbringen dort drei leidenschaftliche Tage und Nächte, begegnen sich mit rückhaltloser Offenheit und lassen sich ganz aufeinander ein. Und als sie sich so nah gekommen sind wie niemandem zuvor, beschließen sie, für immer auseinanderzugehen.
Susann Pásztor erzählt einfühlsam, humorvoll und mit psychologischem Gespür von der großen Liebe – und von einer Frau, die alles daransetzt, damit sie nicht endet.
Die Autorin
Susann Pásztor, 1957 in Soltau geboren, lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin.
Mit ihrem Debütroman »Ein fabelhafter Lügner« (2010, KiWi 1201, 2011) gelang ihr »ein ironisches Lehrstück über Erinnerung und Verdrängen« ( Jüdische Allgemeine ), das für seine Sensibilität und seinen Witz großes Lob erhielt und in mehrere Sprachen übersetzt wurde.
1. Auflage 2013
© 2013 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
eBook © 2013 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Covergestaltung: Barbara Thoben, Köln
Covermotiv: © plainpicture / mia takahara –
aus der plainpicture Kollektion Rauschen
Fonteinbettung der Schrift DejaVu nach Richtline von Bitstream Vera
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in
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