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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Rum zu retten, war weit mehr, als die Menschheit von der Nostalgie zu befreien. Vor allem lag ersteres im Bereich des Möglichen.
    Es war nur nicht so, daß dieses Leben sie hätte ausfüllen können. Sicher, es gab in Philadelphia keine offenkundigen Anzeichen von Apokalyptizismus, keine Hinweise, daß irgendwer auf der amerikanischen Seite des Delaware Häretiker jagte. Scheinbar war die Begründerin der Unbestimmtheitslehre in 3411 Baring Avenue so sicher wie überall sonst. Aber eine düstere Tatsache ließ sich nicht bestreiten: Milks rachsüchtige Theokratie war kaum siebzig Meilen entfernt, nahe genug, daß Julie, wenn sie in der Nacht neben ihrem Mann lag, das Kreischen von Nick Shiners Pick-up-Truck zu hören glaubte, wie er tote Sünder den knochengesäumten Highway entlangkarrte.
    Dabei war Bix genauso ihr Patient wie Phoebe. Die Freundin konnte zur Flasche, ihr Mann zu Nihilismus oder Religiosität zurückkehren. Und doch, die Heilung schien Fortschritte zu machen. »Du mußt verstehen«, sagte er eines Abends bei einer Kakerlakenjagd in der Küche, »dein Auftritt auf diesem Turm hat mich umgehauen. Ich war völlig unvorbereitet – der typische Südseewilde, der dem Weißen ausgeliefert ist. Katastrophe.«
    »Das liegt alles hinter uns.« Julie zog ihren Schuh aus, benützte ihn als Hammer.
    »Können wir je darüber wegkommen? Hat uns nicht ein tiefes kosmisches Geheimnis angerührt?«
    »Nehm ich an. Sicher.«
    »Ich meine, du hast Kräfte gehabt, du warst ein göttliches Wesen.«
    Klatsch. Julie schickte eine Kakerlake zur Hölle. »Kosmische Mysterien interessieren mich heute nicht mehr sonderlich.«
    »Es hilft mir wirklich, mit dir darüber zu sprechen, Julie. Ich glaub, ich werde langsam ein normaler Mensch.«
    »Weißt du, was ein normaler Mensch hat, Bix? Einen Job.«
    Bix zerquetschte eine weitere Schabe mit einem Papiertaschentuch. »Einen Job?«
    »Wir könnten das Geld brauchen, Sweetheart. Wir könnten die verdammte Krankenversicherung brauchen.«
    Schon seit der Jahrhundertwende waren die Englischlehrer an den Schulen von Philadelphia knapp, und Bix, der frühere Midnight Moon- Herausgeber, war sicherer Favorit für so eine Stelle. Einzige unumgängliche Voraussetzung war die amerikanische Staatsbürgerschaft. Die hatte in der Jersey-Sezession zwar jeder aufgegeben, aber formal bestand sie immer noch. Schon eine Woche nach seiner Bewerbung hatte Bix die Aufgabe, 23 Elfjährigen in der William Penn Senior High School ›höhere Fertigkeit der englischen Sprache‹ beizubringen.
    Er war geschockt. Die Elfjährigen machten ihn irre. »Ich weiß nie, was sie grade denken«, erzählte er Julie. »Es ist einfach zuviel auf einmal los. Ich kann das nicht alles im Auge behalten.«
    »Jeder Lehrer hat dieses Problem.«
    »Sie sagen, ich sei fett.«
    »Du bist fett. Ich bin stolz auf dich. Du hast einen langen Weg hinter dir, Bix. Von Father Paradox zu Mr. Chips.«
    Das Schulwesen in Amerika folgte keinem starren Lehrplan, Progressivität war wieder angesagt. An der William Penn schienen nur drei Bedingungen zu gelten: kein Blut auf dem Fußboden, keine sexuellen Beziehungen mit den Schülern, und am Abend mußten alle Fenster halb offen stehen. Es war eine Zeit von Kreativität und Wandel, Innovation und Relevanz – Bix nannte es ›Lehrplan der Interessen‹ und sprach unaufhörlich davon –, und als Julie vorschlug, er solle doch den ganzen Plan über Bord werfen und die Schüler statt dessen eine Zeitung machen lassen, einen rehabilitierten und rationalistischen Midnight Moon, strahlte er übers ganze Gesicht. Eine Zeitung! Todsichere Sache. Fabelhaft! Jack Ianelli würde die Sportseite machen, Rosie Gonzales die Horoskope schreiben.
    Julie konnte mit der Wandlung kaum Schritt halten. Der Mann, der immer Schwierigkeiten gehabt hatte, seine eigene Mutter zu lieben, hatte sich in einen Haufen heranwachsender Zotzer und Rowdies verknallt.
    Und dann Phoebe! Sprach jetzt über Idealismus und Wiedergeburt! Phoebe begeisterte sich nun für alles – Wiederbelebung der Regenwälder, lesbisches Selbstbewußtsein, Rettung der Wale, volle Bäuche und leere Raketensilos. »Ich habe Kräfte im Überfluß«, behauptete sie. »Kommen mir schon zu den Ohren raus!« Sie kaufte einen Kleinlaster und baute ihn in eine Art fahrbare Suppenküche um. Es kostete sie alle Ersparnisse, den Ertrag ihrer Jahre auf dem Strich, aber da stand er nun in der Einfahrt 3411 Baring Avenue – ein gebrauchter United

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