Die eingeborene Tochter
grünen Stift. »Arme Frau Krabbe!« Nun den roten.
»Laß das!«
Ein Krabbenbein zuckte wie eine Distel im Wind. Julie kicherte und kitzelte die Krabbe mit ihrem Purpurstift. Bald waren alle acht Beine in Bewegung, ruderten vor und zurück.
»Das ist schlecht, Julie! Hör auf!«
Aber die Krabbe streckte schon eine Schere aus und hebelte sich in aufrechte Lage. Instinktiv drehte Murray sich um. Spinoza zog sich wie ein Katapultarm zusammen, bereit zum Sprung. Murray nahm den zappelnden und fauchenden Kater, drückte ihn an die Brust.
Unheimlich schnell kroch die Krabbe fort. Als Julie die Tür öffnete, wuselte sie auf die Veranda. Spinoza fauchte wütend über diese plötzliche Umkehr der natürlichen Ordnung.
»Julie, jetzt bin ich böse! Wirklich böse!«
Die Prozession – Krabbe, kleines Mädchen, Mann mit Katze – marschierte hinunter an den Pier. Die Krabbe erklomm einen hohen Felsen, sprang mit allen acht Beinen los und verschwand im Wasser der Bucht.
»Mach das ja nie wieder!« brüllte Murray. Spinoza riß sich los, rannte zum Wasser hinunter und lief herzzerreißend miauend am Ufer auf und ab. »Hörst du?!«
Und Herodes sandte aus und erschlug alle Kinder. Julies Gesicht strahlte. Widerwärtige Selbstzufriedenheit.
»Nie mehr!« Sie kam näher. Er schlug sie.
Sie wichen gleichzeitig voreinander zurück. Er hatte sowas noch nie getan, ihr noch nie eine Ohrfeige gegeben. Der rote Fleck auf ihrer Backe breitete sich aus wie verschütteter Tomatensaft.
Schweigen. Dann: ein lautes, scharfes Kreischen. »Du haust mich, du haust mich!«
»Nichts mehr von diesem… diesem Unsinn, Julie! Kein Gehen auf dem Wasser, keine Glühwürmchen-Buchstaben! Sie warten nur, daß du solche Sachen machst, sie warten doch bloß drauf!«
»Warum haust du mich?« Ihre Tränen liefen in alle Richtungen, links und rechts an der Nase herunter.
»Sie werden dich wegholen.«
»Wer denn?«
»Sie.«
»Wegholen?« Julie rieb ihre Backe. Er ging auf sie zu, bot sich ungeschützt zum Schlag an. Sie trommelte auf seine Brust – dann der Übergang zur Umarmung, schnell wie eine Walzerdrehung.
»Dinge müssen sterben?« fragte sie. Stimme gedämpft durch seinen Pullover.
»Hm-hmm.«
»Andere Kinder haben eine Mama.«
Er spürte ihren Herzschlag an seiner Brust. »Ich bin deine Mama.«
»Gott ist meine Mama.«
»Das ist sehr seltsam, was du da sagst, Julie.«
»Doch – ist sie.« Julies türkisblaue Augen glitzerten von Tränen.
»Hat dir das Tante Georgina gesagt?«
»Nein.«
»Georgina hat’s dir gesagt, nicht wahr?«
»Nein.«
»Woher weißt du dann, daß Gott deine Mama ist?«
»Weiß ich halt.«
Murray hielt seine Tochter auf Armeslänge von sich. »Äh… besucht dich Gott?«
»Nicht einmal flüstern tut sie. Ich hör immer zu, aber sie spricht nicht. Es ist nicht fair.«
Gott sprach nicht. Die beste Nachricht, seit Gabriel Frostig ihm den Embryo gezeigt hatte. »Schau, Julie, das ist gut, daß Gott nicht spricht. Sie würde nämlich fragen, ob ihre Kinder verrückte Sachen anstellen. Gut, daß sie nicht einmal flüstert. Verstehst du?«
»Ich glaub schon.«
»Wirklich?«
»Hm-Hmm. Wo geht die Krabbe hin? Besucht sie ihre Freunde?«
Tiefe Müdigkeit befiel Murray. »Ja. Richtig. Besucht ihre Freunde. Gut, daß Gott nicht flüstert.«
»Ist recht, Pop.«
Er fühlte sich erschöpft, als sie da schweigend auf dem Pier standen. Ein, wie er fand, entschuldbarer Anfall von Selbstmitleid. Andere Väter mühten sich, ihre Mädchen von Drogen abzuhalten. Vom Gefängnis. Sie in Princeton unterzubringen. Aber Murray Jakob Katz allein mußte seine Tochter davor bewahren, auf jenem berüchtigten Hügel zu enden, wo man letzten Endes alle hinschickt, die tote Krabben lebendig machen können.
3. Kapitel
Am Anfang schuf deine Mutter Himmel und Erde. Und sie sprach: »Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte.«
Tiefer, immer tiefer, schraubst du dich auf den Grund der Bay, taufst dich selbst in einem der besonderen Orte, dem Atlantik, steuerst zur Unterwasserhöhle mit ihrem geheimen Zoo. Luftblasen kitzeln deine Wangen. Wasserströme kämmen durch dein Haar. Fröhlich nimmst du einen großen Schluck Sauerstoff aus der Absecon-Bucht – dieses Wunder hast du zustande gebracht: Pop eingeredet, er soll dich tauchen lassen.
»Was ist, wenn ich an einen Felsblock gefesselt in die Bay falle?« hast du gefragt. »Darf ich dann das Wasser atmen?«
Dein Vater runzelte grimmig die Stirn,
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