Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
schwimmen gegangen, und nun, verdammt, hüpfte sie über die Absecon-Bucht. »Julie, nein! Hör auf damit!« Er rannte zum Ufer und watete ins seichte Wasser. Mit kindlicher Angeberei konnte er fertigwerden, sogar mit einem Wunder. Aber nicht damit.
    Sie blieb stehen. Das Wasser glitzerte im schwindenden Sonnenlicht. Murray schaute blinzelnd über die Bucht. Hübsches kleines Paket, wie sie dort stand, während die Wellen der ablaufenden Flut um ihre Schienbeine plätscherten.
    »Is was?« fragte sie.
    »Hier tun wir schwimmen, Julie, nicht laufen!«
    »Warum nicht?« wollte sie wissen. Quengeliger Unterton.
    »Gar nicht nett ist das! Schwimm, Julie, schwimm!«
    Sie tauchte in die Tiefe. Nach ein paar Sekunden erreichte sie das flache Wasser und watschelte über das Seegras zu ihm her. Bißchen pummelig, dachte er. Und ziemlich flink.
    Vielleicht hatte er sich alles eingebildet. Vielleicht lag es gar nicht an Julie, sondern am Wasser – salzhaltige Strömung –, besonders starker Auftrieb. Doch wenn er an die Risiken dachte, an die Leute, die die Baby-Bank gesprengt hatten, an die Schädelstätte, dann war die bloße Idee vom Wandeln auf dem Wasser untragbar.
    »Tu das nie wieder!«
    »Tut mir leid«, sagte sie mit sanftem Lächeln. »Ich ganz brav, Pop«, versprach ihm seine Tochter.
     
    Beim Abendessen erzählte er Georgina die Geschichte.
    »War einfach eine salzreiche Strömung in der Bucht«, beeilte er sich hinzuzufügen.
    »Machen Sie sich doch nichts vor, Mur! Wir sind Zeugen einer bedeutenden Inkarnation. Sie wandelt auf dem Wasser? Tatsächlich? Das ist toll!« Georgina zuzelte einen Strang Spaghetti durch die gerundeten Lippen. »Gehen wir doch morgen in den Zoo.«
    »Ich mach mir nichts aus Zoos.« Murray schüttelte die Parmesanbüchse. Die Brocken darin klapperten wie die Kieselsteine in einer Rumbakugel.
    »Warum? Haben Sie Angst, sie wird die Elefanten in die Lüfte heben?«
    »Ich mach mir nichts aus Zoos, Georgina.«
    Aber im Zoo klappte alles perfekt. Murray identifizierte für Julie all die Tiere, gab ihnen Namen wie Adam. Und als sie jeden Namen mit ihrer Piepsstimme wiederholte, spürte er zum erstenmal, wie sehr man jemanden lieben konnte. Das hatte er nicht geahnt, das hatte ihm niemand gesagt. Sie entwickelte sich schnell, sicher. Lief auf dem Wasser. Möglich. Aber im Grunde war sie doch ein ganz normales Mädchen.
    Später gingen sie in den Fairmount-Park. Picknick mit Hot Dogs und Georginas Gesundheitssalat. Der Abend legte sich auf die Wiesen, brachte Leuchtkäfer und Grillengezirp.
    »Schau uns an«, sagte seine Freundin, »sind wir nicht die typische amerikanische Familie? Wer kann da noch sagen: ein Einsiedler, ein Bastard, eine Lesbe und ein göttliches Wesen? Wer könnte…«
    Verblüfft hielt sie inne. Julie hatte die Leuchtkäfer in Gruppen zusammengestellt. »So rum!« rief sie. Die Insekten machten einen Looping. »Drehen!« und sie bildeten lange Gazefäden, verflochten sich zu einem leuchtenden Gobelin in der Dämmerung.
    Murrays Eingeweide zogen sich zusammen. Phoebe jauchzte vor Vergnügen. Zwei Jahre alter, fröhlich lachender Montgomery Clift.
    »Schau, was sie jetzt macht!« Georgina quetschte ihren Hot Dog so fest, daß die Wurst oben herausflutschte. »Absolut kosmisch! Wow!«
    »Es sind doch bloß Glühwürmchen!« winselte Murray wie ein geprügelter Hund. »Ich sollte ihr das verbieten!«
    Julie brachte den Leuchtinsekten bei, synchron aufzublitzen, dann gruppierte sie sie in Buchstaben: A, B, CD…
    »Verbieten? Warum?«
    »Darauf warten ihre Feinde doch bloß!«
    Das lebende Spruchband trieb durch die Nacht, blitzte: HI, POP, HI, POP.
    Georgina runzelte die Stirn. »Da fällt mir ein… Ich will nicht unhöflich sein, aber…« Sie wirkte verlegen. »Sind Sie sicher, daß Sie Julie richtig erziehen?«
    »Hm?«
    »Nun, mir scheint es nur logisch, wenn Jesus Christus’ Schwester katholisch erzogen wird.«
    »Was!?«
    »Katholisch. Mir hat es als Kind jedenfalls nicht geschadet. Ich werde Phoebe wahrscheinlich zum Religionsunterricht anmelden.«
    Murray schnaubte: »Sie ist nicht Jesu Schwester!«
    »Bleibt abzuwarten. Wie auch immer, Julie sollte am besten katholisch erzogen werden, katholisch oder protestantisch, ich bin nicht voreingenommen, obwohl das die langweiligere Religion ist. Bringen Sie sie in Kontakt mit ihren Wurzeln, verstehen Sie? Stellen Sie einen Christbaum auf. Verstecken Sie Ostereier. Kinder brauchen Wurzeln.«
    »Ich soll was

Weitere Kostenlose Bücher