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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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reiner Freude. Drei Dollar? Das war alles? Bloß drei Dollar?
     
    Georginas Meeresbiologe kam exakt dreißig Tage nach Murrays angeblich göttlichem Wesen – ein weiblicher Meeresbiologe, kaffeebraun, ein sehniger und lebhafter kleiner Mischling. Und sah aus wie Montgomery Clift, betonte Murray. Die frisch gebackenen Eltern gingen zusammen zum städtischen Gesundheitsamt und holten sich die nötigen Formulare.
    »Muß einen Namen angeben«, sagte Georgina. »Ich weiß nicht… Keiner gefällt mir richtig.«
    »Wie wär’s mit Monty?« schlug Murray vor.
    »Nein… Eher was Kosmisches.«
    »Mondstaub?«
    »Wie wär’s mit… Phoebe?«
    »Klingt gut.«
    »Finden Sie? Phoebe war eine Titanin.«
    »Perfekt. Sie ist die vollkommene Titanin.«
    Phoebe schrieb Georgina.
    Die Tatsache, daß der Geist des absoluten Geistes, der Weltmutter, oder eines Ur-Hermaphroditen vielleicht für Julies Empfängnis verantwortlich war, befreite Murray nicht von elterlichen Sorgen und Pflichten. Die rinnende Nase, zum Beispiel.
    Dr. Spalos beschränkte sich auf die Bemerkung, da werde sie rauswachsen. Schön, aber wann? Dann das Milchproblem. Die zwei Dutzend Elternratgeber, die Murray auf Flohmärkten aufgegabelt hatte, verurteilten einmütig Mütter, die nicht stillten. Immer, wenn Murray eine neue Portion Similac anrührte, studierte er das Etikett und wünschte, die Bestandteile klängen mehr nach einem Nahrungsmittel und weniger nach einer Formel für Tupperware.
    In klaren Nächten fütterten er und Georgina ihre Säuglinge auf dem Rundgang des Leuchtturms.
    »Hier oben«, bemerkte Georgina, »ist Julie näher bei ihrer Mutter.«
    »Ich bin ihre Mutter. Mutter und Vater zugleich.«
    »Ach wo, Mur!« Georgina transferierte Phoebe von einer Brust zur anderen. »Julie ist uns gesandt. Die Ära kosmischer Harmonie und synergistischer Konvergenz steht unmittelbar bevor.«
    »Glauben Sie.« Murray gab Julie die zweite Flasche.
    Julie saugte konzentriert; Schlürfrhythmus im Gleichklang mit der steigenden Flut.
    »Allerdings. Bricht sie schon Naturgesetze?«
    »Nein.«
    »Nur eine Frage der Zeit.«
    Wann immer Georgina einen neuen, verrückten Einfall zur Förderung von Phoebes Gehirnzellen aufbrachte – Vergnügungspark, Jahrmarkt, Bicentennial-Parade –, Murray und Julie gingen mit. Zum Beispiel sagte Georgina: »An der Arkansas Avenue ziehen sie ein Casino hoch, ich denke, die Mädchen sollten das sehen, wie Tragbalken, Preßlufthämmer und so aussehen, meinen Sie nicht?«
    Und so machten sie sich zum Boardwalk auf und schauten zu, wie eine große Eisenkugel aus der Luft niedersauste und das Marlborough-Blenheim-Hotel zerdrosch; um für Caesar’s Palace Platz zu machen. Oder: »Züge, Mur! Geräusche, Gerüche, Bewegung, Abenteuer!« Sie fuhren also nach Newark, Murrays Heimatstadt, besichtigten den Hauptbahnhof, ließen auf ihre Kinder die möglicherweise bereichernde Atmosphäre des totalen Chaos einwirken.
    Der Ur-Hermaphrodit – oder wer auch immer – ersparte Murray nicht die dunkle Seite der Elternschaft. Julies schmutzige Windeln waren um nichts ansprechender als die eines anderen Babies, ihre Ohrinfektionen nicht weniger häufig, ihr nächtliches Schreien nicht weniger durchdringend und nervtötend. Er hatte oft das Gefühl, sein Leben sei abhandengekommen. Die Hermeneutik des Gewöhnlichen war ein hoffnungsloser Fall; kein Satz seit Julies Geburt. Hilfe kam von Daycare, bewahrte praktisch Murrays geistige Gesundheit – von Farmer Brown’s Garden, laut Georgina die beste Einrichtung in der Branche. Sie schickte Phoebe an drei Nachmittagen der Woche dorthin – obwohl die Damen in diesem Kindergarten Murray beunruhigten; überkandidelte Schwärmerinnen, und natürlich gab ihnen das kluge und frühreife Katz-Kind reichlich Gelegenheit, sich überkandidelt aufzuführen.
    Frühreif. Murray konnte es nicht bestreiten. Nur fünf Tage nach ihrer Geburt hatte sich Julie in ihrer Wiege umgedreht. Zu Yom Kippur kroch sie auf allen vieren durch die Wohnung. Ihr erstes Wort, Pop, gab sie mit kaum zwanzig Wochen von sich. Mit acht Monaten konnte sie aufrecht gehen; der linke Arm schwang zurück, wenn sie den rechten Fuß vorsetzte. Dies Gehen erwies sich für Murray als außerordentlich aufregend, als er nämlich gegen Mitte des zweiten Lebensjahres entdecken mußte, daß zu den verschiedenen Medien, auf denen sie dahinzockelte – Sand, Seegras, Fußboden – auch der Atlantische Ozean gehörte.
    Tatsächlich. Sie waren am Abend

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