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Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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auch wenn dies ein fürchterlicher Trugschluß war – sagen, daß er sich nun wohl in relativer Sicherheit befand. Aber zugleich spürte er erstmals wieder, wie es war, die dünne, sauerstoffarme Luft außerhalb der Altstadt zu atmen, und wenig später begannen seine Lungen zu pfeifen, und er sah sich gezwungen, langsamer zu gehen.
    Bald geriet der Grauhaarige in Versuchung, den Rucksack abzunehmen und sich aus der Druckflasche zu stärken. Doch er beherrschte sich; er dachte daran, daß der belebende Odem für sein Weib bestimmt war: für die ausgezehrte, einsame Frau auf dem Einödhof, welcher er mit dem Geschenk des Atems für die vierzig Ehejahre danken wollte, die sie geduldig und klaglos an seiner Seite ertragen hatte – und dieser Gedanke trieb ihn vorwärts; trieb ihn Kilometer um Kilometer durch die toten Außenbezirke der Donaustadt, bis zuletzt das fahlweiße Mondlicht verblaßte und im Nordosten der erste schwefelfarbene Schimmer des Morgens über die Hügelkämme jenseits der Stadtgrenze kroch.
    Erst da erlahmten die Kräfte des Alten; er merkte, daß er nahe am körperlichen Zusammenbruch war. Deshalb suchte er jetzt Unterschlupf in der Ruine eines ehemaligen Bauernhauses, das bereits auf ansonsten unbebautem Gelände am äußersten Vorstadtrand stand – und kaum hatte er sich im modrigen Schutt unter dem zur Hälfte eingestürzten Dach eine Kuhle ausgescharrt und sich niedergelegt, fiel er in denselben keuchenden Schlaf wie während seiner zwei Monate zurückliegenden Wanderung, die ihn aus dem Steingebirge in die Stadt am Ufer des fast versiegten Donaustromes geführt hatte.

Die neunte Vision
Der Flügler
     
    A m nächsten Morgen erwachte der Grauhaarige mit schmerzenden Gliedern und einem dumpfen, wummernden Druck hinter der Stirn. Nur mühsam kam er auf die Beine, und als er aus der Hausruine ins Freie stolperte, gewahrte er, daß der Himmel ausgesprochen bedrohlich über ihm hing; ganz so, als wollte er ihn noch zusätzlich niederdrücken. Das schwefelgelbe Firmament brodelte und schien Unheil auszubrüten. Aus den wild wallenden, giftfarbenen Wolken drangen da und dort wirbelnde, an tückisch sich windende Krakenarme erinnernde Auswüchse hervor; gefährliche Turbulenzen schienen dort oben ihr unberechenbares Spiel zu treiben, und dem Alten wurde angesichts dessen fast unerträglich bange im Herzen.
    Eine ganze Weile starrte er wie gelähmt zum Himmel empor; endlich schaffte er es, den Rucksack zu schultern. Als er sich zum Gehen wandte, sah er, wie sich über den flachen Bergzügen im Norden eine Gewitterwand entlud; ohne daß Donner zu hören war, zuckten die Blitze aus einer pechschwarzen Wolkenbank – und obwohl es unter der Schwefelglocke des Firmaments so drückend schwül wie eh und je war, fröstelte der Grauhaarige plötzlich.
    Seine Furcht wuchs noch; auf einmal bewog ihn sein Instinkt, zurück nach Süden zu blicken: dorthin, wo sich die verödete Stadt mit ihrem von den tyrannischen Machthabern beherrschten Kern erstreckte. Über dem bebauten Areal lastete schwerer, fahlfarbener Dunst; es war dem Alten, als wollte der Nebel dort draußen etwas vor ihm verbergen, und daher spähte er nun um so angestrengter.
    Dann, urplötzlich, vernahm er das widerwärtige Surren; ein Surren, welches wie das rasende Chitinflügeln eines riesigen, gepanzerten Insekts klang – und gleich darauf tauchte aus dem über der Donaustadt hängenden Fahldunst der Flügler auf: ein grauenhaftes Wesen mit libellenschlankem Leib und gedrungenem Kugelschädel, das vier- oder fünfmal so groß wie ein Mensch war und über dessen Nacken irgend etwas mit solcher Gewalt im Kreis peitschte, daß unter den hornartig gebogenen Krallen Staubfahnen hochfauchten.
    Der Grauhaarige hatte noch nie einen Helikopter gesehen; deshalb brauchte er einen Moment, bis er die wahre Natur des unheimlichen Rieseninsekts erkannte: Es handelte sich nicht um ein monströses, womöglich mutiertes Tierwesen, sondern um eine Flugmaschine aus Metall. Kaum aber hatte der Alte das begriffen, wurde ihm schlagartig auch klar, daß der Flügler mit den Stadtherrschern zu tun haben mußte; daß sie ihn ausgesandt hatten, um ihn zu jagen – und im selben Augenblick, da er dies dachte, änderte die Metallmaschine jäh ihre Flugrichtung und kam direkt auf ihn zu.
    In einer ersten Regung war der Grauhaarige versucht, zurück in die Hausruine zu flüchten. Doch mit dem nächsten Lidschlag sagte er sich, daß er dort hilflos in der Falle sitzen

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