Die einsamen Toten
Stück.«
»Aha.«
Fry ließ Coopers Erläuterungen über englische Literatur ungerührt über sich ergehen. Für sie war das nur eine weitere lästige Unterbrechung auf ihrem Weg, wo immer sie der in diesen Tagen auch hinführen mochte.
»Aber eines sage ich dir, Ben«, fuhr sie fort. »Falls es sich herausstellt, dass Howard Renshaw Emma getötet hat, werde ich ihn mit bloßen Händen in Stücke reißen.«
»Dann müsste er aber ein verdammt guter Schauspieler sein«, antwortete Cooper.
»Okay. Dann überreiche ich ihm erst den Oscar – und reiße ihn anschließend mit meinen bloßen Händen in Stücke.«
»Das ist nur fair von dir. Aber was ist mit Sarah?«
Fry lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und starrte an die Decke des Büros der Kriminalpolizei, während sie über Sarah nachdachte.
»Sarah Renshaw spielt uns nichts vor«, meinte sie schließlich. »Sarah Renshaw hat sich aus der realen Welt verabschiedet.«
»Hm.«
Aber Cooper meinte, genauere Erinnerungen an die Lektüre der Herzogin von Amalfi zu haben als Fry.Teils hatte er es einem begeisterten Englischlehrer, teils der unvergesslichen Lektüre in der sechsten Klasse zu verdanken, dass ihm die eben zitierte Zeile spontan eingefallen war.
»Aber es war ihr Bruder«, sagte er unvermittelt.
»Wie bitte?«
» ›Bedecke ihr Gesicht, meine Augen sind geblendet.‹ In der Herzogin
von Amalfi ist es nicht der Vater, der die Herzogin tötet, sondern der Bruder.«
Fry sah Cooper an, als hätte auch er sich aus der realen Welt verabschiedet.
»Diane, aber was anderes.Wir sollten mal einen Blick auf die Trafalgar Terrace werfen«, sagte er nach einer Weile.
»Was sollen wir uns anschauen?«
»Die Häuser hinter den Oxleys. Es gibt dort noch eine zweite Häuserreihe, genau wie die Waterloo Terrace, nur völlig heruntergekommen. Seit Jahren wohnt dort niemand mehr, und die Häuser sind in einem miserablen Zustand. Aber sie sind nicht mit Brettern vernagelt, und ich bin sicher, dass die Oxleys Zugang dazu haben.«
»Ein hervorragender Ort, um etwas zu verstecken?«
»Absolut.«
»Zum Beispiel eine Leiche?«
»Das wird sich herausstellen.«
»Was ist mit einem Durchsuchungsbeschluss?«
»Wir brauchen keinen. Die Immobilie gehört der Peak Water. Ich habe bereits ihre Erlaubnis.«
»Aber wir brauchen das schriftlich, Ben.«
»Kein Problem. Ich rufe Mr Venables an, und wir fahren auf dem Weg dorthin bei ihm vorbei.«
Cooper faltete eine Generalstabskarte mehrmals so, bis ein schmales Rechteck übrig blieb, das genau das Gebiet von Upper-Longdendale zeigte, das ihn interessierte.
»Wie machst du das nur?«, fragte Fry.
»Was?«
»Vergiss es. Wahrscheinlich bin ich mein Leben lang einfach dazu verdammt, diese Dinger immer falsch zusammenzufalten.«
Cooper zuckte die Schultern. »Hm. Wenn du hier auf die Karte schaust, siehst du, dass wir an die Trafalgar Terrace herankommen, ohne zwischen den Häusern der Oxleys hindurchzumüssen.
Wenn wir hier unten auf diesem Fahrweg parken, müssen wir nur noch ein paar Wiesen überqueren. Und dann vielleicht noch über einen Zaun oder eine Mauer klettern. Aber im Schutz der eng stehenden Bäume wird uns bestimmt keiner sehen.«
»Okay.«
»Außerdem ist momentan der ideale Zeitpunkt dafür. Alle männlichen Oxleys sind noch hier in Edendale und werden wegen der Schlägerei vor dem Wheatsheaf vernommen. Es dauert noch Stunden, bis sie wieder in Withens sind. Eine bessere Gelegenheit, uns dort ungestört umzusehen, kommt nicht wieder.«
»Klingt gut. Aber, Ben...«
»Ja?«
»Beim ersten Anzeichen, dass es interessant werden könnte, brechen wir ab und organisieren eine anständige Durchsuchung durch Spezialisten.«
»Ich weiß, der Dienstweg«, seufzte Cooper.
»Das ist kein Schimpfwort, Ben.«
Mittlerweile hatte es sich richtig eingeregnet.Wie hätte es auch anders sein sollen. Es war Maifeiertag, und die Gegend war voller Touristen. Die Moriskentänzer in Edendale würden nass werden. Ihre Tücher würden schlaff herunterhängen und ihre Glöckchen rosten. Aber nichts würde sie davon abhalten, zu tanzen.
In Withens hingen die Wolken fast bis auf die Hausdächer durch. Sie pressten das Dorf auf den Talgrund und drückten die Moore zusammen wie einen Schwamm, aus dem der Regen auf die Straße und in die Gärten der gemauerten Häuserreihen lief. Wenigstens dieses eine Mal schien sich der schwarze Backstein nahtlos in die Landschaft einzufügen, während die Steinhäuser weiter oben, die sich
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