Die einsamen Toten
spüren. Eine Gegenwart, die real und mit Händen zu greifen war, die zärtlich sein Gesicht berührte und seine Haut kühlte wie frisches Schmelzwasser im Frühjahr. Dieses Bewusstsein, etwas Reines, außerhalb der Realität von Withens Stehendes zu erleben, erfüllte ihn mit Freude. Wenige Augenblicke stummer Kontemplation halfen normalerweise, seine Ängste zu dämpfen. Aber heute Abend schien es nicht zu funktionieren.
Derek Alton hatte seinen Wagen am Tor des Friedhofs geparkt. Etwas Besseres als diesen klapprigen alten Ford Escort konnte er sich nicht leisten. Ein anglikanischer Geistlicher war ein Angestellter Gottes, und Gottes Lohn war bekanntlich karg. Das alte Pfarrhaus stand zwar direkt hinter der Kirche, aber der momentane Amtsinhaber von St. Asaph hatte keine Verwendung dafür, da es zu groß war und der Diözese im Unterhalt zu teuer kam. Deshalb hatte man ihm und Caroline einen Bungalow auf der neuen Straße oberhalb des Dorfes zur Verfügung gestellt. Aber der Bungalow war klein, zu klein für die große Familie, die Caroline sich wünschte.
Während er den Friedhof durchquerte und zum Tor ging, sah sich Alton automatisch nach neuem Müll oder neuen Schäden um. In der letzten Zeit schien das Bier von Foster’s der
absolute Renner bei den Jugendlichen zu sein, die abends hierher kamen. Die blauen Dosen, leer und in der Mitte zusammengedrückt, stachen deutlich zwischen den Brombeersträuchern und Farnen hervor. Alton stellte sich vor, wie einer der Oxley-Jungen vor seinen Freunden pubertäre Stärke demonstrierte, indem er paffte und kiffte, was das Zeug hielt, und vielleicht sogar Leim schnüffelte. Er hatte keine Ahnung, was die Jugendlichen nachts auf dem Friedhof trieben, und wollte auch lieber keine Vermutungen anstellen.
Die Bierdosen wanderten in eine schwarze Mülltonne zu den welken Blumen und den Plastikblumentöpfen. Die Abfalltonne neben der Kirchenvorhalle war seit Wochen nicht mehr ausgeleert worden. Der Deckel, der den überquellenden Müll nicht mehr bändigen konnte, lag nutzlos am Boden. Was wohl tief unten in der übel riechenden Dunkelheit alles vor sich hin brütete oder sich gerade verpuppte?Welches weiße, wimmelnde Getier sich gerade seinen Weg durch die verrottenden Abfälle fraß? Jetzt, da das Wetter wärmer wurde, würde er es bald herausfinden, wenn die Tonne nicht geleert wurde. Eines Morgens würde er sich, wild mit den Armen schlagend, seinen Weg durch Wolken von Stechmücken und Schwärme von Schmeißfliegen bahnen müssen, um zu Kirchentür zu gelangen.
Neben der dunklen Kirchenmauer fiel Alton ein Farbfleck auf, der dort nicht hinpasste. Aber es war keine Bierdose von Foster’s. Auf dem Gedenkstein für einen ehemaligen Kirchenvorsteher thronte ein kleiner Stoffzwerg mit roter Mütze, blauer Jacke und weißem Bart. Natürlich auch ein Oxley.
Alton sperrte seinen Wagen auf und warf einen Blick zum Dorf hinauf. Es gab zehn Straßenlaternen in Withens. Alton wusste deswegen so genau, wie viele es waren, weil er sie in der ersten Woche nach seiner Ankunft gezählt hatte. Sie waren ihm als Symbol erschienen, dass die Zivilisation auch dieses Dorf erreicht hatte. Angesichts des unwirtlichen Eindrucks, den die dunklen Steinhäuser und düsteren Hänge auf ihn gemacht hatten,
hatte er sich an die Gegenwart dieser Laternen geklammert und versucht, Trost daraus zu ziehen. Doch wie immer, wenn er – wie jetzt – von der Kirche Richtung Dorf blickte, verblüfften ihn diese Straßenlaternen mit ihrer Eigenschaft, zwar die Straße, aber nicht die Gebäude zu beleuchten. Ihr kalter, orangeroter Lichtschein drängte die Häuser dahinter in noch tiefere Finsternis.
Aber selbst wenn die Straße beleuchtet gewesen wäre, hätte Alton von dem Platz aus seinen Bungalow nicht sehen können. Zehn Straßenlaternen, die Fenster des Quiet Sheperd und die Umrisse seines Daches waren alles, was er von Withens überhaupt erkennen konnte.
Dafür sah Alton etwas anderes: eine Gruppe dunkler Gestalten, die die Straße entlang auf die Lichter des Dorfes zugingen. Sie tauchten von einem Kegel einer Straßenlaterne in den nächsten, ein wenig schwankend, wie es schien. Ob sie müde oder betrunken waren, hätte Alton nicht zu sagen vermocht. Wahrscheinlich waren es die Oxleys – Lucas, Scott, Ryan und die Cousins. Selbstverständlich auch der alte Eric Oxley persönlich. Heute Nacht waren die Border Rats wieder unterwegs.
Diane Fry starrte durch die Windschutzscheibe auf die
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