Die einsamen Toten
zu bekommen?«
»Hör mal, ich nehme die Pastete nicht einmal aus der Tüte.«
»Nein.«
Murfins Gesicht legte sich in tausend Falten. Er seufzte tief. »Wohin fahren wir als Nächstes?«
»Wir müssen mit Neil Granger sprechen. Ich habe schon versucht, ihn anzurufen, aber er ist nicht zu Hause.«
»Soll das heißen, dass wir für heute Schluss machen?«
»Ja. Bis morgen.«
»Morgen? Aber morgen ist Sonntag, Diane.«
»Ein guter Tag, um nach Withens zu fahren.«
Murfin schniefte. »Es gibt nicht einen guten Tag, um nach Withens zu fahren.«
Ben Cooper hatte die Hand auf der Gartenpforte liegen und wollte soeben den Riegel lösen. Doch beim Klang der Stimme hielt er inne. Neben dem letzten Haus der Waterloo Terrace stand ein Mann und beobachtete Cooper. Der Mann stand still wie eine Statue, so dass Cooper, der mehr am Zustand der Gärten interessiert gewesen war, ihn nicht bemerkt hatte. Der Mann trug einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd, aber keine Krawatte. Die Hosenbeine steckten in schwarzen Gummistiefeln. Cooper schätzte ihn auf Mitte fünfzig. An seinem schütteren, rotblonden Haar, das an den Schläfen in Strähnen abstand, zerrte der Wind. Sein Haar war das Einzige an ihm,
das sich bewegte. Sogar seine Augen, die fest auf Cooper gerichtet waren, blickten starr. Er ließ die Hände an den Seiten hängen, und obwohl er keine Waffe trug, schaffte er es, bedrohlich zu wirken.
Cooper verspürte leichte Nervosität, als er nach seinem Dienstausweis griff. Er befürchtete, die Geste könnte falsch verstanden werden. Vielleicht bildete er sich das nur ein, aber er hatte das Gefühl, noch von anderen Augenpaaren beobachtet zu werden.
»Detective Constable Cooper von der Polizei in Edendale«, sagte er. »Und wer sind Sie?«
Der Mann gab keine Antwort. Der Ausdruck auf seinem Gesicht schlug unmerklich von Misstrauen in Verachtung um, als müsste ein Kriminalbeamter wissen, wessen Haus er hier aufsuchte.
»Sind Sie Mr Oxley?«, fragte Cooper.
»Was wollen Sie?«
Resigniert stellte Cooper fest, dass er dem Mann keine Antwort würde entlocken können. Aber er konnte kein anderer als Mr Oxley sein. Lucas, wahrscheinlich. Der Vater von Scott, Ryan, Jake und vielleicht auch Sean.
»Wenn Sie Mr Lucas Oxley sind, würde ich gern mit Ihnen sprechen.«
»Kommen Sie nicht näher, sagte ich.«
Cooper hatte automatisch begonnen, den Riegel der Pforte zu heben, in der Annahme, jetzt, da er mündlichen Kontakt aufgenommen hatte, würde man ihm den Zutritt gestatten. Aber er täuschte sich.
»Vielleicht möchten Sie ja nicht, dass jeder mitbekommt, was ich Sie fragen will, Sir. Das muss man nicht unbedingt laut bei den Nachbarn herumposaunen.«
»Da haben Sie vollkommen Recht. Ich habe nicht die Absicht, hier herumzuschreien.«
»Ich muss Ihnen die Frage stellen -«
»Sie müssen überhaupt nichts. Nicht bei mir.«
Cooper war sicher, eine Bewegung hinter einem der Fenster im Erdgeschoss des zweiten Hauses wahrgenommen zu haben, auf Nummer zwei. Die Vorhänge standen offen, aber drinnen war es zu dunkel, um jemanden erkennen zu können.
»Sie sind also Mr Oxley, richtig?«, sagte Cooper.
»Zufälligerweise ja.«
»Ich war gerade in der Kirche, wo eingebrochen wurde.«
Zu Coopers Überraschung machte Oxley einfach auf dem Absatz kehrt und tauchte in den Durchgang zwischen den beiden letzten Häusern. Seine strähnigen Haare tanzten noch einen Moment um seinen Kopf, ehe er im Schatten verschwand.
Cooper öffnete die Pforte und lief ihm ein paar Schritte hinterher.
»Mr Oxley!«, rief er.
Abrupt blieb er stehen. Aus irgendeinem Grund sträubten sich ihm die Nackenhaare. Er verharrte, wo er war, ein paar Meter entfernt von der Gartenpforte, und blickte Richtung Haus. Ganz sicher spähten hinter den Fenstern Gesichter hervor. Er konnte Augenpaare sehen, die alle seine Bewegungen verfolgten. Wie eine Familie, die abends gemütlich vor dem Bildschirm hockt und erwartungsvoll auf die nächste spannende Szene, eine Autojagd oder einen Kampf wartet.
Jetzt, da Lucas Oxley verschwunden war, herrschte beinahe vollkommene Stille in den Vorgärten der Waterloo Terrace. Aber nur beinahe. Coopers Ohren nahmen ein schwaches Klicken wahr, dann ein merkwürdig schlitterndes Geräusch, das vom Ende des Durchgangs auf ihn zukam.
Im letzten Moment drehte Cooper sich um und rannte Richtung Pforte. Er wusste, dass er keine Zeit mehr hatte, sie zu öffnen, und setzte zum Sprung über die Mauer an. In dem Moment
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