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Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi

Titel: Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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vermocht, ihn von seiner Leidenschaft für die Zahlen abzubringen. Mattia liebte es, nach bestimmten Regeln zu zählen, mit der 1 zu beginnen und anhand komplizierter, häufig spontan ausgedachter Muster fortzufahren. Er ließ sich leiten von den Zahlen und hatte den Eindruck, jede einzelne genau zu kennen. Und so geschah es,
dass er, als nun die Diplomarbeit anstand, entschlossen Professor Niccoli, den Lehrstuhlinhaber für Diskrete Mathematik, in seinem Büro aufsuchte, bei dem er bis dahin keinen einzigen Schein gemacht hatte und von dem er nichts als den Namen kannte.
    Professor Niccolis Büro lag im dritten Stock des Gebäudes aus dem 18. Jahrhundert, in dem der Fachbereich Mathematik untergebracht war. Das Zimmerchen war ordentlich und geruchsfrei, beherrscht vom Weiß der Wände, von Bücherregalen, einem Kunststoffschreibtisch und dem sperrigen Computer darauf. Mattia klopfte so leise an, dass sich der Professor nicht sicher war, ob man bei ihm selbst oder am Nebenzimmer angeklopft hatte. Herein, rief er, in der Hoffnung, sich nicht lächerlich zu machen.
    Mattia öffnete und bewegte sich einen Schritt ins Büro hinein.
    »Guten Tag«, sagte er.
    »Guten Tag«, antwortete Niccoli.
    Mattias Blick wurde gefesselt von einem Foto, das hinter dem Professor an der Wand hing und ihn sehr viel jünger und ohne Bart zeigte, in der Hand eine silberne Plakette, während er einem Unbekannten, der wie eine wichtige Persönlichkeit aussah, die Hand schüttelte. Mattia kniff die Augen zusammen, konnte aber die Schrift auf der Plakette nicht lesen.
    »Was führt Sie zu mir?«, begann Professor Niccoli, indem er ihn stirnrunzelnd musterte.
    »Ich möchte eine Diplomarbeit über die Nullstellen der Riemannschen Zetafunktion schreiben«, sagte Mattia, indem er den Blick auf die rechte Schulter des Professors richtete, die voller Schuppen und dadurch einem bestirnten Himmelanschnitt ähnlich war.

    Niccoli verzog das Gesicht zu einer Art spöttischem Lächeln.
    »Verzeihung, aber wer sind Sie eigentlich?«, fragte er, nun ohne den Hohn zu verbergen und indem er die Hände hinter dem Kopf verschränkte. Er schien diesen amüsanten Auftritt genießen zu wollen.
    »Mein Name ist Mattia Balossino. Ich habe alle Prüfungen abgelegt und möchte noch in diesem Jahr meine Abschlussarbeit schreiben.«
    »Haben Sie Ihr Studienbuch dabei?«
    Mattia nickte. Er ließ den Rucksack von den Schultern gleiten, ging in die Knie und begann, darin herumzusuchen. Als Niccoli die Hand ausstreckte, um das Heft entgegenzunehmen, ignorierte Mattia diese Geste und legte es an den Rand des Schreibtischs.
    Seit einigen Monaten war der Professor gezwungen, Gegenstände ein gutes Stück von sich wegzuhalten, um sie scharf sehen zu können. Er überflog die lange Reihe von Einsern und Einsern mit Auszeichnung. Kein einziger Ausrutscher, keine Verzögerung, nicht eine Prüfung, die wegen privater Probleme, vielleicht einer zerbrochenen Liebe, in den Sand gesetzt worden wäre.
    Er klappte das Heft zu und blickte Mattia aufmerksam an. Dieser Student war unauffällig gekleidet und gab sich so, als wolle er mit seinem Körper möglichst wenig Raum einnehmen. Der gehört wohl zu denen, dachte der Professor, die ihr Studium problemlos meistern, weil sie im Leben Nieten sind. Studenten, die nichts mehr zuwege bringen, sobald sie die breit gespurten Pfade der Universität verlassen haben.
    »Meinen Sie nicht, es wäre an mir, Ihnen ein Thema zu stellen?«, fragte er, jedes Wort betonend.

    Mattia zuckte mit den Achseln. Seine dunklen Augen bewegten sich, der Schreibtischkante folgend, von links nach rechts.
    »Aber mich faszinieren die Primzahlen. Deshalb würde ich gern über Riemanns Zetafunktion arbeiten«, erwiderte er.
    Niccoli seufzte. Dann stand er auf und ging zu einem wei-ßen Schrank. Er schnaufte rhythmisch, während er mit dem Zeigefinger die Titel durchging, und nahm schließlich einige bedruckte und an den Ecken zusammengeheftete Seiten zur Hand.
    »Nun gut«, sagte er, als er sich wieder an Mattia wandte, »Sie können wiederkommen, sobald Sie die in diesem Artikel angesprochenen Rechnungen nachvollzogen haben. Alle.«
    Ohne den Titel zu lesen, nahm Mattia das Bündel entgegen und steckte es in den Rucksack, der, geöffnet und in sich zusammengesunken, an seinem Bein lehnte. Er nuschelte ein Danke, verließ das Büro und zog die Tür hinter sich zu.
    Niccoli setzte sich wieder auf seinen Platz und dachte daran, wie er beim Abendessen vor seiner Frau

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