Die Einsamkeit des Barista
auf dem Weg zur Autobahn und endlich allein mit sich und seinen Gedanken, fing Massimo an, sich Luft zu machen. Wie üblich im Selbstgespräch: »Wo fährst du denn hin? Du kommst nicht zufällig da und da vorbei? Kommst du bald zurück? Einfach unglaublich. Jetzt hab ich die schon sechsundzwanzig Stunden am Tag auf der Pelle. Und da nerven die noch damit, wo ich hin will. Aber was soll ich mir vormachen: Ich bin sowieso schon verheiratet mit den Alten. Im Fernsehen gibt’s nur die Sachen, die sie sehen wollen. Wenn geredet wird, reden nur sie. Wenn jemand in die Bar kommt, der ihnen nicht passt, dann schicken sie ihn innerhalb von zwei Sekunden wieder hinaus. Und vom Poppen keine Rede. Genau wie in einer Ehe. Zum Teufel mit mir, der Bar, dem Billard und dem Hund meiner Mutter.«
Als er die Bar aufgemacht hatte, nach der Scheidung, hatte Massimo sich eine etwas andere Entwicklung erhofft. Er hatte sich Tage friedlichen Alleinseins vorgestellt, nur gelegentlich unterbrochen von einem schnellen Espresso, und unterhaltsame Abende im Kreise seiner Freunde, die die Bar füllten, einen Aperitif tranken und sich fröhlich unterhielten. Und er, Massimo, mittendrin, der organisierte und auf seine Art aufmerksam dirigierte, bevor er nach Hause ging, um sich in einem schönen Buch und dem Schlaf der Gerechten zu verlieren, oder vielleicht um eine skandinavische Touristin zu befingern, die er ganz besonders reizvoll gefunden hatte und die, nach einem schnellen und unzweideutigen Blickwechsel, auf ihn gewartet hatte, bis die Bar zumachte.
Stattdessen.
Stattdessen hatten sich die Dinge nach einer langen Phase des Überschwangs anders entwickelt. Die Freunde hatten geheiratet oder waren verheiratet geblieben, sie hatten Kinder und ließen sich nicht mehr in der Bar blicken. Zur Stunde des Aperitifs war die Bar hauptsächlich mit gebräunten Nichtstuern gefüllt, an die Massimo das Wort nur richten würde, um ihnen eine Verurteilung zu Zwangsarbeit mitzuteilen. Und die wenigen Finnen oder Dänen, die hereinkamen, beschränkten sich normalerweise darauf, einen Wodka zu bestellen und in der Gruppe hämisch zu lachen. Und Massimo, der sich nach der Scheidung damit getröstet hatte, nun frei zu sein und tun zu können, was er wollte, ging nach Hause und war frei, allein ins Bett zu gehen oder gar auf dem Sofa einzuschlafen. Auf demselben Sofa, auf dem er auch den Mittwoch, den Ruhetag der Bar, verbrachte, um Playstation zu spielen. Kurz und gut, Massimo begann zu begreifen, dass allein zu sein unter dem Strich ein Reinfall ist und dass die Wüste das schlimmste Gefängnis sein kann.
Massimo bog auf die große Allee ein und fing automatisch an, die Schilder, Plakate und Graffiti, die er sah, mit lauter Stimme vorzulesen, wie er es oft tat: »Ristorante Emilio. Gemeinde San Pietro. 12. Jahrhundert. Das Einzige hier in der Gegend, was im Schnitt noch älter ist als meine Bar. Vereinigung christlicher Arbeitnehmer. Wie, ist offen. Laura HDGDL für immer. Ja, ja. Wir reden später noch mal drüber. Jesus liebt dich. Na gut. Dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Der muss davon überzeugt sein, dass ich Masochist bin.«
Und dann war da natürlich noch die Bar. Die BarLume. Massimos Bar. Theoretisch. Seit er das Billard aufgestellt hatte, ging seine ungewollte Sammlung aus alten Opis praktisch nur noch zum Essen und zum Mittagsschlaf nach Hause; die einzige Ausnahme bildete Aldo, der Einzige, der noch arbeitete, alles in allem jedoch mehr Zeit in der BarLume verbrachte als in seinem eigenen Restaurant. Etwas Gutes gab es aber. Da die Alten den Billardtisch fest in Beschlag genommen hatten, war jetzt wenigstens der große Tisch unter der Ulme immer frei (der einzige, an dem das WLAN-Signal zu empfangen war). Dennoch gelang es Massimo nicht, den Anblick knackiger Zwanzigjähriger in Tangas zu genießen, die unter der Ulme chatteten, weil die vier Mehrfachzwanzigjährigen in ihren Achselhosen im Nebenzimmer ständig da waren. Wenigstens gab es noch Tiziana.
Massimo kam an den Kreisel zum Viale D’Annunzio und fing an, im Kreis zu fahren, weil er nicht wusste, was er als Nächstes tun sollte.
»Auf jeden Fall muss sich was ändern. Ich verwahrlose hier. Wenn das so weitergeht, komme ich eines Tages auch mit Hosen bis unter die Achseln in die Bar und gehe direkt zum Billardtisch, während ich über meine Prostata klage. Da muss sich was ändern. Was, weiß ich nicht. Aber irgendwas ganz bestimmt. Hast du genug Luft abgelassen, Massimo? Ja,
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