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Die Einsamkeit des Barista

Die Einsamkeit des Barista

Titel: Die Einsamkeit des Barista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Malvaldi
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Prostituierte herumliefe und das weitererzählen würde, was ihre Kunden ihr erzählt haben oder was sie gerne tun, dann würde sich bald niemand mehr an sie wenden. Sie könnte ihre Dienstleistung nicht mehr anbieten, so sündig diese auch sein mag. Niemand würde ihr mehr vertrauen. Und wenn ein Geistlicher das Beichtgeheimnis verriete, wäre es genau das Gleiche.«
    Da nun aber seit zwei Tagen dieses Gerücht kursierte, saßen Leute in der Kirche, die da seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen worden waren: junge Arbeiter von der Straßenreinigung kurz vor Beginn der Nachtschicht, Paare mittleren Alters, die donnerstags um diese Uhrzeit normalerweise im Kino waren, alte Witwen, die sich dermaßen selten schminkten, dass sie jetzt aussahen, als seien sie von Picasso angemalt worden.
    Und dazu Massimo, klar.
    »Diese Kutte, die ich hier trage, macht mich nicht unfehlbar oder unempfänglich für die Versuchung. Dieses Kleidungsstück dient nur dazu, mich und euch alle daran zu erinnern, dass ich versprochen habe, auf die Annehmlichkeiten und Reichtümer des irdischen Lebens zu verzichten, um in vollkommener Freude Christus zu dienen. Und ich kann, wie alle anderen auch, Fehler machen.«
    Massimo sitzt in einer Bank ganz hinten, unbehaglich, an einem Ort, den er so gut wie nie betreten hat, und durch ein paar Reihen getrennt von dem Triptychon der alten Geier, die normalerweise seine arme Bar heimsuchen. Aldo ist nicht dabei, er ist in seinem Restaurant geblieben, um zu arbeiten, im Übrigen hat er auch keinen Fuß mehr in eine Kirche gesetzt, seit er sich ’45 während eines Bombenangriffs in der Krypta von San Piero versteckt hatte. Tiziana ist ebenfalls nicht dabei, weil sie Massimos Einladung wörtlich genommen und sich weder hier noch in der Bar hat sehen lassen. Weshalb die Bar heute Abend verwaist ist, doppelt abgeschlossen, mit einem Schild an der Tür: »Geschlossen aufgrund unvorhersehbarer Konversion des Inhabers. Für die wenigen Sünder, die das Karfreitagsfasten brechen wollen, wird die BarLume morgen geöffnet sein. Amen.«
    »Der Fehler, den ich begangen habe, bestand darin, dass ich den Vertretern des irdischen Gesetzes etwas entdeckt habe, das mir unter dem heiligen Siegel der Beichte anvertraut wurde, als ich nichts war als ein Bindeglied zwischen dem, der mit mir sprach, und unserem Herrn. Ich werde euch, liebe Brüder, nicht sagen, was ich gesagt habe oder wen ich verraten habe. Und ich würde lügen, wenn ich euch sagen würde, dass ich das, was ich getan habe, nur aus Liebe zur Gerechtigkeit getan habe. Die Gründe, aus denen ich gefehlt habe, meine teuren Freunde, sind allein meine. Sie betreffen mich, meine Familie. Und daher können sie mich nicht rechtfertigen. Was ich hingegen sagen will, ist, dass ich mir der Folgen meines Handelns bewusst bin, dass ich mir bewusst bin, dass ich mich unwürdig erwiesen habe, euer Diener zu sein und euch dabei zu helfen, Zuflucht und Trost in Christus zu finden.«
    Alle Anwesenden, Ampelio eingeschlossen, verharren reglos und hypnotisiert vor dem Pater, der, wie sonst auch, mit jener ruhigen und sanftmütigen Stimme spricht, die wie zum Scherz aus diesem kraftvollen Körper mit dem Gladiatorengesicht kommt, das der Bart, der heute nicht das übliche Lächeln umrahmt, nur teilweise verbergen kann.
    »Daher habe ich mich entschlossen, meine teuren Brüder, an diesem Tag, an dem wir uns von Christus erzählen, der von einem seiner eigenen Jünger verraten werden wird, vor euch zu treten, euch meinen Verrat zu gestehen und meine Unwürdigkeit zu offenbaren sowie der Versuchung, mich von euch nicht zu verabschieden, zu widerstehen. In einigen Tagen werde ich in ein fernes Land im Herzen von Afrika aufbrechen, um zu versuchen, erneut Gnade vor den Augen des Herrn zu finden. Doch zuvor, geliebte Brüder, wollte ich euch ein letztes Mal grüßen und euch und unseren Herrn um Vergebung bitten dafür, dass ich mich eures Vertrauens nicht würdig erwiesen habe.«
    Nach diesen Worten verließ der Pater die Kanzel und kehrte hinter den Altar zurück.
    Die Menschen blieben nur still, weil sie sich in einer Kirche befanden. Und auch wenn der Pater nichts verraten hatte, hatte der Verweis auf die Familie die öffentliche Meinung nur bestärkt.
    Es bestand nunmehr kein Zweifel daran, was der Pater gestanden hatte.
    Giacomo war Carpanesis Sohn.
    »Pronto?«
    »Pronto, Massimo, Tiziana hier.«
    »Ah, salve. Was gibt’s?«
    »Hör mal, ich war heute bei der Tante in der Kanzlei

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