Die Einsamkeit des Barista
servierte umwerfende offene Weine), war er nach Hause zurückgekehrt. Danach war er zu Bett gegangen, sicher, dass er, schwer vom Essen und gewiegt vom Wein, beinahe sofort in den Schlaf der Gerechten fallen würde.
Von wegen.
Nach zwei Stunden Freistilringen mit den Laken hatte er sich ergeben und war aufgestanden. Er hatte versucht, ein bisschen zu lesen, erfolglos. Schuld war dieses Wort, das Tiziana im Auto ausgesprochen hatte und ihm den ganzen Abend schon das Hirn traktierte. Als er versucht hatte, auf Pulicis virtuellen Kopf zu flanken, als er versucht hatte, zu kochen, als er versucht hatte, einzuschlafen, war dieses Wort ihm ständig im Kopf herumgegangen und wieder entglitten. Nachdem er sich der eigenen Unruhe ergeben hatte, hatte er sich an den Computer gesetzt, die Suchmaschine aufgerufen und zwei einfache Begriffe eingegeben. Und danach, nachdem er den Wikipedia-Artikel zu den beiden Begriffen gelesen hatte, war ihm das Wort wieder eingefallen.
Die Begriffe waren »Corea Huntington«. Und das Wort war »Ärztin«.
»’onto.«
»Pronto, Tiziana?«
»Ja. Wer’s da?«
»Ich bin’s, Massimo.«
»Massimo.«
Schweigen.
»Massimo, es ist zwanzig nach zwei.«
»Die Uhr ist auch bei mir schon erfunden, danke. Hör mal, du musst mir einen Gefallen tun. Bist du wach?«
»Jetzt schon.«
»Also, dann hör gut zu. Arbeitet deine Tante immer noch beim Notar Aloisi?«
»Tante Gemma? Ja, ich glaub schon.«
»Gut. Morgen früh müsstest du sie um einen Gefallen bitten. Du müsstest sie fragen, ob sie mal einen Blick in Fabbricottis Akte und alle dazugehörigen Dokumente werfen kann. Da müsste irgendwo auch ein psychiatrisches Gutachten oder so etwas in der Art sein.«
»Ach ja? Und woher weißt du das?«
»Ich weiß es einfach. Glaub mir. Und du müsstest bitte den Namen der Ärztin nachschauen, die Fabbricotti betreut hat. Den Namen der Neurologin. Der müsste ja irgendwo bei den Untersuchungsprotokollen stehen. Wenn du den gefunden hast, rufst du mich an und sagst ihn mir. Zur Belohnung kannst du morgen zu Hause bleiben. Komm einfach, wann du willst.«
Schweigen.
»Hast du alles verstanden?«
»Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, dich zu bitten, mit mir das Haus anzusehen. Aber egal, ich hab’s verstanden. Ich ruf dich morgen an.«
Und legte auf.
Massimo kehrte ins Bett zurück und schlief ein wie ein kleines Kind.
Tiziana nicht.
Neun
»Der Hirte muss der Hirte der gesamten Herde sein. Aller Schafe. Er darf nicht nur der Hirte derjenigen Schafe sein, die ihm gefallen, oder der sanftesten Schafe. Er darf die widerspenstigen Herden nicht meiden oder die bösartigen. Und so muss auch ein Pfarrer, ein Mönch, ein Diener Gottes auf Erden handeln wie Christus und wie Christus ein Führer und Leuchtfeuer für alle sein, Männer, Frauen und Kinder, die ihm anvertraut sind und die ihm vertrauen.«
In der Kirche sitzen außergewöhnlich viele Leute. Außergewöhnlich, weil es die Gründonnerstagsmesse ist, die Missa in Coena Domini , die im Gegensatz zur Ostermesse nicht zu den meistbesuchten gehört. Das ist normalerweise die feierliche Karfreitagsmesse mit Prozession durch die Straßen des Städtchens hinter dem Holzchristus eines unbekannten Künstlers. An der Gründonnerstagsmesse mit dem anschließenden »Besuch der sieben Kirchen« nehmen normalerweise nur wenige teil, vielleicht, weil sie Angst haben, die Feierlichkeiten am Freitag nicht mehr durchzustehen, die wesentlich festlicher sind und wesentlich mehr Frömmigkeitspunkte einbringen.
»Wie Don Lici Allegri, mein lieber Freund, der gerne einen Scherz machte, immer sagte, ist der Priester ein bisschen so etwas wie die männliche Ausgabe der Prostituierten. Er ist ganz einfach der Mann aller. Männer und Frauen, Weiße und Schwarze, Dicke und Dünne, anständige Leute und Gauner. Wer auch immer anklopft, dem wird geöffnet werden. Wer auch immer um Hilfe bittet, dem wird sie gewährt werden. Es wird niemand vorgezogen, niemand wird ausgeschlossen. Ich muss ein Mann aller sein.«
Darüber hinaus ist zu bedenken, dass wir uns in Pineta befinden. Ein Städtchen, in dem der prozentuale Anteil der Gläubigen, aufrichtige oder nur scheinbare, nie besonders hoch gewesen ist. Kurz und gut, um der Wahrheit Genüge zu tun: Hätte sich nicht das Gerücht herumgesprochen, dass Pater Adriano heute erklären würde, warum er aufs Kommissariat gegangen war, wäre wohl nur ein Zehntel der Menschen in der Kirche gewesen.
»Aber wenn eine
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