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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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Preise explodierten. 20 bis 30 solcher Kaliber genügen der Welt. Niemand baut mehr auf einer Kunstmesse einen 40.000 Euro teuren Messestand auf, um einen unbekannten Künstler irgendwo reinzubringen. Dort sieht man heute nur noch die neureichen Kinder desinteressierter Eltern. Dann geht man da hin und sieht Fähnchen in Sandhaufen stecken und pink Hartweizengries, der ein Toilettenbecken füllt … Und Berlin, BERLIN, BERLIN …«
    Er schien in seinem eigenen Theaterstück zu spielen. Rebekka fragte sich, ob das auch die anderen hatten mit ansehen müssen, oder ob sie der Premierengast war.
    Â»â€¦ diese Stadt voll von Möchtegernkünstlern, die alle irgendwann mal ihr total spannendes Projekt verwirklichen wollen und auf dem Weg dahin die Nächte palavernd in ihren abgewrackten Stuben hocken, die sie ›Studios‹ nennen und die im Zweifelsfall von Papa oder dieser armen aber sexy Stadt finanziert werden. In beiden Fällen zählt nicht das Resultat, nur das SEIN und DAZUGEHÖREN zu etwas, das sich KUNST nennt und hier doch nur Bedeutungshascherei ist. NEIN!«, brüllte er nun und lief den schmalen Gang zwischen Wand und Werkbank auf und ab, »KUNST IST DER WILLE ZUR KUNST! Das Prädikat Kunst an sich ist nicht wertvoll. Ist sie nicht aus einem Willen geboren, dann ist sie nichts als ein Rädchen in der Beeindruckungsindustrie heute. Aber Ausdruck entsteht, wenn Eindruck verstummt! Stille zu schaffen, gelingt keinem mehr!«
    Rebekka fühlte sich an ihr Gespräch in Harry’s Bar erinnert, damit hatte er sie eingefangen, mit dieser Leidenschaft, die sich ihr hier als die dünne Schicht Eis über einem tiefen, dunklen See zeigte.
    Â»Vor 50 Jahren war ein Ausstellungsmacher ein schlecht bezahlter Museumsdirektor, heute ist er ein Superstar! Mit einem Frachtjumbo wird Frida Kahlos Gesamtwerk aus Mexiko hergebracht, Sonderzüge aus der ganzen Republik karren das Publikum ran, VIP-Karten werden inflationär verteilt, weil sich der Normalbürger mit dieser niederen Kategorie der Wertschätzung zufrieden gibt.«
    Scheinbar gedankenverloren griff er zu einem gläsernen Messbecher. Er füllte destilliertes Wasser aus einer Flasche hinein und goss aus einem Reagenzglas eine Flüssigkeit hinzu. Auf der Werkbank vor Rebekka stand ein kleiner Kocher, auf dem Erik den Messbecher platzierte.
    Â»Bei der Untersuchung dieser Werkstatt wird man feststellen, dass du mindestens ein Mal da warst. Sogar ein Kaffeebecher von dir steht hier rum«, er zeigte auf das obere Brett eines Regals.
    Der Eisladen am Alexanderplatz. Ihr einziger Coffee-to-go der letzten Monate.
    Erik betrachtete zufrieden sein Werk und griff zu einem Schutzanzug an der Wand. Er zog ihn langsam über, den Blick auf Rebekka gerichtet. Dann zog er eine Gasmaske über den Kopf. Er tätschelte Rebekka die eiskalte Wange, während er sich Handschuhe überzog.
    Â»Du wirst mir nicht mehr in die Quere kommen, sondern als die Initiatorin des Ganzen zusammen mit deinem Andrew Cascone den Bach runtergehen!«
    Die Dämpfe aus dem nun brodelnden Glas breiteten sich im Raum aus.
    Â»Was glaubst du, was seine Werke bringen, wenn die Meldung über seinen Suizid durch die Presse geistert?«
    Rebekka kniff Augen und Lippen zusammen. Sie atmete so flach sie konnte und spürte, wie sich die feinen Fäden des Gifts durch ihre Nasenschleimhäute in den Rachen fraßen.
    Halb ohnmächtig vor Schmerz spürte sie plötzlich Bewegung an den Kabelbindern ihrer Gelenke. Instinktiv bewegte sie Arme und Beine, die nicht mehr gefesselt waren. Sie wollte sich erheben und stürzte zu Boden. Ihre Augen tränten, und nur verschwommen erkannte sie den weißen Dampf unter der Decke des Raumes. Sie mühte sich, am Boden zu bleiben und kroch wie ein Chamäleon in langsamen Bewegungen in Richtung der Tür. Sie griff nach oben, berührte die Klinke und zog sich daran hoch. Mit letzter Kraft und ihrem ganzen Körpergewicht rüttelte sie daran. Vergebens. Die Tür war verschlossen.
    Als Nächstes nahm sie einen schweren Schlag gegen ihren Kopf wahr, der ihr das letzte Bewusstsein raubte und sie wie einen nassen Sack auf den Boden warf.

Kapitel 49
    Â»Ich glaub, ich hab Scheiße gebaut!«
    Mark erkannte die Stimme am Telefon nicht sofort. Er spürte instinktiv, dass sich am anderen Ende eine Tragödie abspielte, die auf den Notruf

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