Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
Vom Netzwerk:
eiskalt den Rücken herunter, obwohl seine Stimme noch immer so warm und vertrauenerweckend klang wie auf der Trauerfeier.
    Â»Weil Sie viel zu jung sind.«
    Â»Oh!«
    Rebekka spürte, wie sie errötete, und war froh, dass sie es noch konnte. Es war weniger Verlegenheit als Erleichterung, die ihre Gesichtszüge aufleben ließ.
    Â»Anneliese war in unserer Kirche, ja, aber ich habe bei niemandem an der Tür nachgefragt, ob oder woran er oder sie glaubt. Und wir alle glaubten damals an die Freiheit, die auch hierzulande möglich war. Man musste sie nur lange genug einklagen. Denn Freiheit ist ein hohes Gut. Sie erinnert daran, dass Gott sein Volk befreit hat, und dass die Menschen zur Freiheit berufen sind. Zwar steht in der Bibel, der Herr mache die Gefangenen frei …«
    Rebekka verdrehte die Augen. Der Pfarrer lachte wieder sein warmes Lachen.
    Â»â€¦ aber so lange wollte keiner warten. Und Anneliese Otto war eine der Ungeduldigsten.«
    Er wurde nachdenklich. »Das hat sie auch teuer bezahlt.«
    Für ihren Versuch hatte Rebekka genau eine Chance. »Mit ihrem Freitod?«
    Â»Der war die Folge des Ganzen.«
    Innerlich hakte Rebekka diesen Punkt ab. Es war ausgesprochen.
    Â»Aber den meine ich nicht. Anneliese Otto saß ein. Für eine Nacht. Im Stasigefängnis Hohenschönhausen. Dem Ort, den es auf keinem Stadtplan der DDR-Hauptstadt Berlin gegeben hat. Sie war eines Abends noch während einer Lesung – zur Klärung eines Sachverhalts  – festgenommen und in einem Barkas auf langen Umwegen dorthin gefahren worden, damit sie gar nicht erst das Gespür für die Lage dieses Ortes bekam. Am nächsten Tag wurde sie wieder raus gelassen. Sie war völlig benommen. Kam zu mir in die Kirche. Erzählte von der Vernehmung, bei der ein paar Mal das Telefon geklingelt hatte und der Vernehmende immer einen auf überrascht machte. Oh, der kleine Nils sei verschwunden! Ob man denn schon überall nachgeschaut habe. Ja, seine Mutter säße grad hier. Ja, man würde es ihr sagen. Als sie rauskam, rief sie aus der ersten Telefonzelle zu Hause an. Ihr Mann war wütend, hatte gedacht, sie treibe sich rum, wie er es nannte. Nils schlief natürlich friedlich in seinem Bett wie die anderen drei.«
    Rebekka blieb stehen. Sie hatten zu den anderen aufgeschlossen, die vor dem Brecht-Keller auf sie warteten.
    Â»Warum erzählen Sie mir das alles?«
    War sie sonst froh über so unkomplizierte Gesprächspartner, machte sie seine Mitteilsamkeit stutzig.
    Reinhard Göbel schaute sie an. In diesem Moment wusste Rebekka, dass es völlig egal war, ob sie oder jemand anderes neben ihm herlief. Er erzählte sie immer, diese Geschichten. Weil er wusste, dass sie irgendwann keiner mehr erzählen würde.

Kapitel 16
    Unten in der Kneipe zog Ulrike an Rebekkas Arm und bedeutete ihr, sich mit an den runden Tisch zu setzen, an dem nun fast alle Platz fanden.
    Â»Nun erzähl mal! Was machst du so? Wo wohnst du?«
    Als wäre sie vorbestellt gewesen, wurde eine Runde dunkles Bier an den Tisch gebracht. Rebekka hatte kaum Zeit, sich beim Anstoßen die anderen Freunde der Familie Otto anzuschauen, da Ulrike sie regelrecht belagerte.
    Â»Ich wohne etwas weiter draußen, Nähe Hoppegarten.«
    Wieder eine schöne kleine Wahrheit, die Rebekka runterging wie der Schluck kühles Schwarzbier zu mittäglicher Stunde. Wurststullen, Spreewaldgurken und Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat wurden nun aufgefahren. Keiner hielt eine Rede oder sagte ein Wort zum eröffneten Buffet, jeder schnappte sich etwas, biss drauflos und kaute.
    Â»Und was machst du beruflich?«, hakte Ulrike nach und schien das Essen gar nicht bemerkt zu haben.
    Â»So was, wie hier gerade aufgetischt wird«, Rebekka wies auf die Platten und Schüsseln, »einen Partyservice. Mit vier Angestellten.«
    Â»Und? Das läuft? Obwohl«, Ulrike schaute sich Rebekka nun zum ersten Mal etwas genauer an, »wer Chanel trägt hat garantiert einen florierenden Partyservice. Ist das echt?« Wie ein kleines Mädchen drehte sie an den glitzernden Knöpfen von Rebekkas Jacke.
    Rebekka lachte.
    Â»Ach, weit gefehlt! Aber ich find’s toll, dass es ganz offenbar echt aussieht.«
    Ulrike schien etwas enttäuscht zu sein, aber sofort auch wieder versöhnt, war Rebekka nun doch so richtig eine von ihnen.
    Â»Es macht mir ganz einfach Spaß, mit

Weitere Kostenlose Bücher