Die Einsamkeit des Chamäleons
in dem sie sich zurückziehen konnte, wie in die abgelegene Villa des längst verstorbenen Regisseurs einer anderen Zeit oder unter Leute mischen, wie hier unter die Familie Otto in der Friedhofshalle.
Unauffällig zählte Rebekka die Anwesenden durch, es waren um die 30 Leute.
Nach der Callas war Otto-Sohn Achim an der Reihe. Er hielt eine launige, kurze Rede auf seinen Vater als Vater und die Familie als solche, und es war zu spüren, dass er an beidem nicht sonderlich hing. Man träfe sich übrigens nach der Beerdigung im Keller des Brecht-Hauses, der würde heute extra schon etwas früher aufgeschlossen. Aha , stand in den Blicken der Zuhörer geschrieben, und hier und da erhaschte Rebekka einen verstohlenen Blick auf die Armbanduhr.
Nach einem zweiten Musikstück, etwas Fröhlichem von Bach, trat ein auffallend gepflegt aussehender EnddreiÃiger nach vorn, der sich als Vertreter der Geschäftsführung von Recycling, Verschrottung und Co. vorstellte. Nach einem kurzen Räuspern sprach dieser Mann so eloquent und geschliffen, dass Rebekka bewundernd die Augenbrauen hob. Allein dass sich jemand von der Firmenleitung herbemüht hatte, empfand sie als ein Zeichen von Respekt, zumal Recycling, Verschrottung und Co. mittlerweile einen ganzen Arbeitsplatz für Anlässe dieser Art eingerichtet haben musste.
Nach den Worten von Thorsten Milchmeyer, den man in der Schule bestimmt wegen seines Namens gehänselt hatte und der es eben deswegen nach oben geschafft hatte, war Karl-Heinz Otto einer der herausragenden Köpfe dieser Firma gewesen. Geradezu vor dem Durchbruch habe der Mann, der bald in Rente gegangen wäre, gestanden. Milchmeyer redete von ihm, als wäre es sein potenzieller Nachfolger gewesen, der da von ihnen allen gegangen war, der Tausendsassa des Unternehmens.
Rebekka notierte sich in Gedanken jedes Detail, das sie am Abend zu Hause in ihren Laptop eingeben würde: neue Technologie, Teststrecken, internationale Vernetzung.
Nachdem Milchmeyer seine Huldigung beendet hatte, wurde der Sarg zu den Klängen von » Night and Day « und der Stimme von Ella Fitzgerald aus der kleinen Halle getragen. Rebekka blieb etwas zurück und ging als Letzte hinaus.
Der Weg zum Grab schien ihr endlos. Eine trächtige Katze kreuzte ihren Weg von links nach rechts. Pech . Doch es war ja kein Kater gewesen. Zum Glück .
»Sagen wir du zu uns? Can I say you to you ?«, fragte Ulrike und lachte.
Sie wirkte viel zu unbeschwert für diesen Anlass. Rebekka vermutete eine Art von Schock und parierte mit: » Of course !«
»Und wie hat es dir gefallen?«
Ulrike hakte sich bei Rebekka unter. Nils drehte sich argwöhnisch nach ihnen um.
»Gut. Hat alles gepasst. Und euer Vater wurde so porträtiert, wie ihn wohl auch meine Mutter gemalt hätte.«
»Schön haste das gesagt. Jetzt nur noch Blumen hinlegen und dann ab zu Brecht. Der â und im Ãbrigen auch meine Mutter! â hätten ihre helle Freude an einer schlagfertigen Poetin wie dir.«
Ulrike war richtiggehend aufgekratzt, als habe die Trauerfeier einen festen Knoten in ihr gelöst.
»Und was hat deine Mutter nun mit meinem Vater verbunden?«
Bevor Rebekka zu einer Antwort ansetzen konnte, standen sie am offenen Grab, in das der Sarg hinabgelassen wurde.
Ulrike und Achim waren die Ersten, die Blumen und Erde mit einem geflüsterten letzten Gruà in das Erdloch fallen lieÃen. Dann Nils. Dann Jörn. Beide wirkten gefasst und doch von einer inneren Unruhe getrieben, die Rebekka gut nachvollziehen konnte.
Sie hatte diesen Moment selbst erlebt. Ihre innere Unruhe war eine Wut gewesen, die Wut darauf, ihre Mutter so wenige Dinge gefragt zu haben und nun keine Antworten mehr zu bekommen, und die Wut auf die vielen Lebensjahre, die ihrer Mutter genommen worden waren.
Die Unruhe der beiden Brüder schien eine andere Ursache zu haben. Rebekka wusste, dass sie in ihrer bösen Vorahnung nicht allzu falsch liegen konnte. Der Kranz der Firma Recycling, Verschrottung und Co. war der gröÃte von allen.
Rebekka war die Letzte, die an das Grab trat und ihre drei weiÃen Rosen hineinfallen lieÃ. Machs gut, fröhlicher Mann, auch wenn wir uns nicht kannten. Sollte dir irgendwer dein Leben gestohlen haben, dann mache ich ihn gerne für dich ausfindig. Du scheinst tolle Kinder in die Welt gesetzt zu haben. Ich freue mich, an deiner Stelle noch etwas
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