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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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herumlungerte. Doch genau den Gefallen tat sie ihm nicht. Sie lüpfte ebenfalls einen unsichtbaren Hut und fuhr ansonsten grußlos an ihm vorbei, ein breites, wissendes Lächeln im Gesicht.
    Obwohl der Frühling die Gegend und sogar die Leute etwas freundlicher zu machen schien, fehlte Rebekka die Stadt wie ein Geliebter, von dem sie immer wieder unfreiwillig Abschied nehmen musste, sobald sie in die S-Bahn Richtung Hoppegarten stieg.
    Bevor sie die letzte greifbare Erinnerung, die sie an ihre Mutter hatte, zu hassen beginnen würde, war es wieder Zeit, Brandenburgs Gleichgültigkeit zu verlassen und in ihr gemütliches Zimmer im belebten Vico House zurück zu kehren. Wann immer sie ihr Weg daran vorbei führte, mit dem Rad oder zu Fuß vom Alex in die Torstraße einbiegend, betrachtete sie das denkmalgeschützte Gebäude im späten Bauhaus-Stil mit seiner markanten symmetrischen Fassade, und Heimatgefühle stiegen in ihr hoch, wie sie sie sonst nicht kannte. Dann war sie versucht, einfach hineinzugehen, ihre Klubmitgliedschaft zu testen und zu sehen, ob sie tatsächlich sofort ein Zimmer bekäme, am liebsten das, was sie immer bezog. Doch sie spürte auch, um wie vieles wertvoller der Moment der Rückkehr erst sein würde, wenn er nicht einer spontanen, unausgegorenen Stimmung entsprang und sie ihr Refugium am Stadtrand so verlassen hätte, wie sie es eines Tages wieder vorfinden wollte.
    Es war Sonntag und somit ein ganz normaler Arbeitstag für Freddy. Rebekka wählte seine Handynummer und vernahm schon nach dem ersten Klingeln den vertrauten Bariton am anderen Ende.
    Â»Na? Mit dem Landleben schon wieder am Ende?«
    Freddy hielt sich nie lange mit Floskeln auf, wenn er erst einmal Rebekkas Nummer auf seinem Display erkannt hatte.
    Â»Genau deshalb ruf ich an. Hast du ein Zimmer für mich?«
    Â»Logo, ab wann?«
    Â»Sag du es mir.«
    Â» I see , doch so dringend, ja?«
    Â»Genau so dringend.«
    Â»Wie wäre es mit … heute?«
    Â» You made my day !«, jubelte Rebekka und legte auf.
    Sie stellte das Gas und den Strom ab und erneuerte online den Nachsendeauftrag für Post und Berliner Zeitung an das Vico House , bevor sie den Computer endgültig herunterfuhr und in ihrem Koffer verstaute. Dann erst schaute Rebekka zum ersten Mal auf die Uhr. In einer Stunde fuhr der Bus.
    Sie schloss alle Fenster und brachte den Müll in die Tonne am Haus. Ein letzter Blick zurück in kleine Wölkchen aus Staubkörnern, die über ihrer Oase aus Laura - Ashley -Kissen und Wolldecken tanzten. Ein Paravent aus patiniertem Metall, handgefertigt von Andrew Cascone und mittlerweile unbezahlbar, trennte die Schlafnische vom Wohnzimmer, das direkt in die Küche überging. Bücherstapel umrandeten das gemütliche Bett. An dem weißen Holztisch vor der breiten Fensterfront hatte sie schon als Kind ihre Milch getrunken. Fotos an den Wänden zeigten ihre Eltern und stammten aus glücklichen Tagen, jenen Tagen, bevor die beiden Eltern wurden.
    Rebekkas Vater war tatsächlich bei ihrer Geburt gestorben. Die Leute schauten ungläubig, wann immer Rebekka diesen Satz sagte. Dabei war es eine der wenigen Wahrheiten, die sie je von Rebekka Schomberg erfahren sollten. Der Vater hatte einen Anruf bekommen, dass die Wehen einsetzten bei seiner Frau, bei seiner jungen, hübschen Monika mit ihrem Mammutbauch. Und er hatte sich sofort auf seine MZ geschwungen, in der Eile den Helm vergessen und in einer regennassen Kurve im Sturz buchstäblich den Kopf verloren. Dieses Detail ersparte Rebekka ihren Zuhörern meist. Das einzige Foto ihres Vaters hing inmitten eines Sonnenstrahls an der sandfarbenen Wand. Daneben ein Bild ihrer Mutter mit Rebekka auf dem Arm, und die verlorene Freude über ihr Baby, die ihr anzusehen war.
    Â»Macht’s gut ihr zwei«, flüsterte Rebekka und wusste, dass sie jedem etwas antun würde, der sich an ihrem Refugium vergriff.
    Die Kleidungsstücke, an denen sie nach einem Jahr nicht mehr sonderlich hing, hatte sie in eine Mülltüte gepackt und stellte sie nun mit dem Vermerk ›Kleidersammlung‹ vor das Gartentor. Sie rief im Hilfswerk an und gab dort Bescheid mit der Bitte, die Sachen abholen zu lassen. Spätestens daran würde Faul bei seiner Rückkehr erkennen, dass es nun wieder so weit war, dass es für ihn hier über Monate nichts mehr zu sehen gäbe und er das Rätsel

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