Die Einsamkeit des Chamäleons
wen?«
Selbst mit Schädelbasisbruch würde sich die Frau vom Faul die Gelegenheit zum Spionieren nicht entgehen lassen. Vielleicht sind die gar kein Paar. Vielleicht sind sie Dr. Jekyll und Mr. Hyde und rennen abwechselnd in der Gestalt des anderen durch die Gegend. Nur um mich fertigzumachen.
»Ja«, antwortete Rebekka brav und hielt ihren besorgten Blick auf Mr. Hyde gerichtet.
»Wen denn?«
Die Frage hatte Rebekka erwartet.
»Meine Mutter.«
»Oh!«, sagte Frau Faul und zupfte etwas unbeholfen an ihrem Rock herum. »Ich erinnere mich. Sie war doch noch so jung, Ihre Mutter.«
Das Ende des Satzes zog Frau Faul so weit nach oben, dass er einer Frage glich, die Rebekka ganz bestimmt nicht beantworten würde.
»Und nun müsste ich auch â¦Â«
»Ja, ja, gehen Sie nur ⦠Sie sind ja immer so in Eile.«
Immer so in Eile. Was soll das?
Rebekka stieg vom Rad und schob es den Friedhofsweg entlang. Die alte Dame lief ihr nach, offenbar nicht absichtlich, doch Rebekka nahm es zur Kenntnis.
Das Grab ihrer Mutter war schon von Weitem zu erkennen. Der Stein war hell, wirkte wie von einem Licht angestrahlt, und das Beet wie ein wildwuchernder Garten, der aus all dem efeubewachsenen Granit ringsum hervorstach.
Rebekka füllte eine Steckvase an dem Brunnen in der Nähe. Sie schaute sich um. Frau Faul war nicht mehr zu sehen.
Sie ging zurück zum Grab und steckte die Vase in die Mitte von Ginster, Lavendel und ein paar frostgeschädigten Rosenstöcken, die sich gerade wieder erholten und die ersten Knospen zeigten. Der Strauà glitt in die Vase. Stolz betrachtete Rebekka ihr Werk. Mit einem Taschentuch fuhr sie über den hellen Stein, auf dem der Name und die Lebensdaten ihrer Mutter standen.
Rebekka beugte sich noch ein letztes Mal hinunter, hob das Windlicht auf und schraubte den Deckel ab. Mit der scharfen Kante grub sie ein kleines Loch. Sie wog beide Aluminiumpäckchen gegeneinander ab und entschied sich für eines davon. Sie legte das Päckchen mit dem Stick in das Loch und schüttete es wieder zu. Dann zündete sie ein Teelicht an, schraubte den Deckel wieder auf das Windlicht und stellte es zurück an seinen Platz.
»Ein undankbares Alter.«
Rebekka fuhr herum, sie hatte Frau Faul nicht kommen hören.
»Sagen Sie mal, verfolgen Sie mich?«
Rebekka spielte ihre Wut voll aus.
»Sollte ich das?«
Eine so schlagfertige Antwort hatte sie der Frau gar nicht zugetraut. Perplex starrte Rebekka sie an und suchte nach Worten.
Frau Faul kicherte, als habe sie gerade selbst realisiert, was sie schon alles ohne ihren Mann konnte. Dann wurde sie ernst.
»Ich bin fast jeden Tag hier, wissen Sie? Ich schaue, wer dazugekommen ist oder ausgelagert wird, wessen Grabstätte abgelaufen ist und wo der Stein befestigt werden muss.«
Ihre Arme waren beinah zu kurz dafür, um sie vor ihrer massigen Brust verschränken zu können. Sie tat es trotzdem.
»Und Ihre Mutter muss mir da glatt entgangen sein. Gab es etwa keine anständige Trauerfeier?«
Rebekka überlegte kurz, was in dieser Gegend und von einer Frau, die mit einem wie Faul verheiratet war, wohl als anständig bezeichnet wurde. Die Beerdigung ihrer Mutter war aus Rebekkas Sicht zumindest nicht unanständig gewesen. Sogar ein Pfarrer war dabei gewesen, dazu Rebekka und drei Totengräber. Als der Pfarrer gegangen war, hatte Rebekka mit den drei Männern noch einen Ouzo aus dem Flachmann getrunken, den sie eigens für diesen Anlass mitgebracht hatte.
»Das tut mir übrigens leid, das mit Ihrer Mutter.«
Rebekka hielt es für eine unglaubliche Schrulle, die es sich im Sprachgebrauch bequem gemacht hatte.
Das mit Ihrer Mutter ⦠Sie ist tot, und das ist kein »was mit«⦠Verdammt!
»Danke.«
Rebekka nahm ihr Rad und ging, in der Hoffnung, Frau Faul habe alles mitbekommen.
Als sie wieder in ihre StraÃe einbog, begegnete sie Helmut Faul, der sich ebenfalls gerade aufs Fahrrad schwang, obwohl er garantiert die ganze Zeit an ihrem Zaun entlang geschlichen war, voller Neugier, die ihn innerlich zu zerfressen schien.
ÃuÃerlich legte er ein freundliches »Tachâchen, Frollein«, an den Tag und lüpfte den unsichtbaren Hut auf seiner speckigen Elvistolle.
Er schien innezuhalten und zu warten, dass Rebekka ihn endlich fragte, ihn vielleicht sogar anbrüllte, zur Sau machte, weil er ständig hier
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