Die Einsamkeit des Chamäleons
Joggingpfad unterwegs war, sie sein Klopfen aus ihrem Traum riss, und kürzlich sah er sie sogar morgens recht früh und verstört am Fenster stehen. Dabei hatte er nur wie beiläufig die Büsche vorm Haus etwas sprechen lassen.
Und nun hatte er auf dem Weg vom Alexanderplatz zum Vico House ihren Kaffeebecher aus dem Papierkorb gefischt. Das war vielleicht etwas übertrieben gewesen, doch bei dem Tempo, das sie mit ihrer Schnüffelei vorlegte, konnte er ihre DNA vielleicht noch gebrauchen. Ein zweiter Knopf an einer Tasche war schon deshalb die halbe Miete der Sorgenfreiheit, weil genau der Knopf verloren gehen konnte, der das ganze Stück zusammenhielt.
Rebekka Schomberg sollte sich nicht zu sicher fühlen. Ohne Not hängte sie sich in das Leben anderer, und wer die Gefahr suchte, der drohte nun mal, darin umzukommen. Dass ihr genau das widerfahren würde, hatte er bereits minutiös geplant, und sein Plan schien sogar aufzugehen, denn in einem Punkt â dem wichtigsten überhaupt â war Rebekka Schomberg ihm bereits auf den Leim gegangen. Noch wusste sie nichts davon, sondern klebte wie die Fliege am Klebeband, immer noch genüsslich das SüÃe von der Oberfläche leckend, bevor sie merken würde, dass es Fesseln waren, an denen sie sich gerade labte.
Die Kübel mit Kapuzinerkresse vor dem Haus waren ihm bald genauso vertraut geworden wie Herrn Ziervogels schmucklose Sekretärin in der Neuenhagener Sparkassenfiliale als auch Freddy im Vico House , der den Gesprächen mit ihm über sein Spezialthema immer regelrecht entgegenfieberte. Hier also traf sich die Schöne mit dem Biest, verwöhnte das Model den Schnüffler, liebte das Mädchen den Kommissar, und ihm wären noch bessere Gleichnisse eingefallen, hätte er das nicht alles so sagenhaft zum Kotzen gefunden.
Es ging ihm nicht um das schnöde Ausbaldowern anderer Leute Gewohnheiten. Die profane Spannermentalität, die sich ihre Nachbarn auf dem Land noch aus ihren Ãberwachungsjobs im alten System bewahrt hatten, war ihm verhasst wie Achselgeruch. Es ging ihm um viel mehr. Rebekka Schomberg mischte sich in Dinge ein, die sie nichts angingen, und konnte ihm somit eine ernst zu nehmende Gefahr werden. Bevor ihr das gelänge, musste sie ausgeschaltet werden. Das Leben, das sie führte, war unauffällig genug, sodass sie keiner vermissen würde. Rebekka Schomberg würde ebenso von der Landkarte ihrer scheinbar groÃen Welt verschwinden wie die Obdachlosen, die er als Metallarbeiter gebraucht und anschlieÃend fachgerecht entsorgt hatte. Kein Schwein hätte je wieder nach auch nur einem von ihnen gefragt, so wie auch in deren Leben vorher niemand nach ihnen gefragt hatte bis auf ihn selbst, der sie sich zu willigen Sortierern und Beschaffern, zu Kräften fürs Grobe herangezogen hatte. Sie hatten noch eine gute Zeit gehabt mit ein paar Euros und kostenloser Unterkunft, in der sie sich hatten jeden Abend besaufen und ihren Rausch ausschlafen können.
Warum, fragte er sich ständig, fiel es den Menschen nur so schwer, in ihrer eigenen Spur zu bleiben oder überhaupt einer zu folgen, die ihre eigene sein könnte? Er hatte seine Leidenschaft entdeckt und blieb an ihr dran wie ein Magnet am anderen, da passte nichts dazwischen, es war seine Berufung geworden nach vielen fruchtlosen Versuchen auf anderen Feldern: die Kunst, Kunstwerke zu erschaffen. Jeder Mensch besaà schlieÃlich das grundsätzliche Bedürfnis an Kunst, um dieses Jammertal von Leben durchzustehen. Kunst war des Kleinbürgers liebstes Kind geworden, man hob sich ab von dem Nachbarn, der mit elektrischen Garagentoren Millionen gemacht hatte und sie in Gestalt von Rolex und Porsche herumzeigte, indem man sein Geld für Kunst ausgab.
Doch es ging ihm nicht nur darum, selbst ein Kunstschaffender zu sein. Es war ihm gelungen, eine ganze Gattung zu schaffen, ein Kunstgeschöpf, das den Markt bediente. Es hatte zwei Jahre gebraucht, um die Maschinerie in Gang zu setzen. Und Rebekka Schomberg war ganz bestimmt die Letzte, die seinen mühsam verdienten Erfolg stoppen würde. Sie hielt sich für besonders schlau. Aber sie war es nicht. Wäre sie schlau gewesen, hätte sie ihre Vorsicht beibehalten, die sie jedem gegenüber in Lügen verpackt an den Tag legte. Diese Frau hatte ihr Leben perfekt durchorganisiert, indem sie sich zu einem nicht greifbaren guten Geist stilisierte, der
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