Die Einsamkeit des Chamäleons
den Garten, den Kaffeebecher in der Hand und am Laub der Bäume die Zeit bis zum Herbst ablesend.
»Hier im Haus wohnen eigentlich nur normale Leute«, sagte die Frau und hatte wohl vergessen, dass sie bisher jedes Gespräch mit Rebekka so begonnen hatte. Rebekkas interessierter Blick ermunterte sie wie immer zum Weiterreden.
»Die Bewohner schleichen sich durch die Hofeinfahrt rein, weil es hier keinem egal ist, was die Nachbarn denken. Auch wenn man sich sonst eigentlich völlig gleichgültig ist. In diesem Assihaus will halt keiner gesehen werden. Wo es Essen und Klamotten für lau gibt, gehen Assis ein und aus, weil alles, was es kostenlos gibt, diese Leute anzieht wie ScheiÃe die Fliegen. Das ist nun mal die verbreitete Meinung.«
Auch das war ein typisches Phänomen dieser Gegend. Man musste schon sehr genau hinhören, um die haarscharfe Abgrenzung auszumachen zwischen dem, was an Meinung weitererzählt wurde, und dem, was die Meinung des Erzählenden selbst war. Wieder fiel es Rebekka schwer, doch diesmal beherrschte sie sich. Die Frau neben ihr auf der Gartenbank, die nun gedankenversunken an ihrem Kaffee nippte, kümmerte sich um die AuÃenseiter der Gesellschaft. Und das verband sie mit Rebekka. Nur dass Rebekka die Mittel bereits zur Verfügung standen, welche sich die beiden Betreuer des Vereins erst erbetteln mussten.
»Gibt es Unternehmen, von denen Sie gesponsert werden?«
Der Blick der Frau sprach Bände und sie selbst plötzlich Berlinerisch.
»Unternehmen! Nee, ooch keene Partei, keen jarnüscht. Wir kriegen hier zwar öfter mal Besuch, grad in Wahlkampfzeiten, aber die sitzen denne aufn Kaffee hier, hören sich allet an, hauen wieder ab, eener überweist noch mal 100 Euro oder schickt ein paar Klamotten, die er nicht mehr braucht, und dann ist die Sache ooch schon wieder vergessen.«
Rebekka fiele ganz bestimmt etwas ein, womit sie dem Chef der Recycling, Verschrottung und Co. einen Hilfseinsatz für den regionalen Ruf der Firma schmackhaft machen würde.
»Haben Sie vielleicht einen Flyer für mich? Eine Visitenkarte?«
Rebekka merkte selbst, wie lächerlich diese Frage angesichts der Knappheit der Mittel dieses Vereins wirken musste. Zu ihrem Erstaunen sprang die Frau auf, ging in ihr Büro und kehrte kurz darauf mit einem Faltblatt und einer Visitenkarte in der Hand zurück.
»Da staunense, was?«
Und Rebekka staunte tatsächlich.
»Im letzten Wahlkampf war einer für die Arbeitsplätze hier.«
Rebekka hielt das für die höfliche Umschreibung eines Landtagsabgeordneten, der sich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf die Fahne geschrieben hatte.
»Und der hat mir die Dinger drucken lassen. Dann kam bald einer vom Arbeitsamt, den er auf uns angesetzt hat, und der hat uns erklärt, wie wir mit diesen Dingern die Leute, die hier aus und ein gehen nach und nach wieder mit Arbeitsplätzen versorgen können. Na ja«, sie seufzte, »wenigstens ein paar von denen.«
Rebekka horchte auf.
»Sie vermitteln Obdachlosen Arbeit?«
»Wieso? Ist das jetzt ooch verboten?«
»Natürlich nicht. Das ist lobenswert.«
Rebekka verabschiedete sich schnell und lieà die Frau mit etwas ratlosem Blick und zwei Kaffeebechern in den Händen zurück, während die ersten Gäste zum Frühstücken kamen.
Kapitel 25
Morgens fühlte sich der Frühling noch wie Winter an. Im Busch vor dem Fenster sahen Spinnenweben mit Reif wie kleine Skelette aus.
Rebekka saà an ihrem Küchentisch, sie brauchte Halt, sehnte sich nach Mark und spürte zum ersten Mal, dass es wie das Warten auf eine Liebeserklärung war, jenes Hoffen, er würde ihr seine Liebe erklären. Es war schmerzhaft, ihm so nahe zu stehen und doch nicht zu seinem Leben zu gehören. Es fühlte sich an, wie die Welt von auÃen zu betrachten, darüber stehend zwar, aber aus einer Entfernung, die einsam machte. Nach jedem Treffen schickte sie ihn weg, denn Rebekka schlief gerne allein, im Sommer bei offenem Fenster, egal ob in der Stille des Gartens oder über der Lärmkulisse in der TorstraÃe. Sie schlief nur mit einem Laken bedeckt, ihren Körper über die ganze Breite des Bettes ausgestreckt. Die Nächte gehörten ihr allein, so wie auch nächtliche Reisen im Flugzeug, wenn sie nach zwei hingehauchten Stunden Schlaf in der Finsternis aus Notbeleuchtung und Stille über
Weitere Kostenlose Bücher