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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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bin dabei. Fehlt nur noch die passende Patinierung für die Zeitmaschine. Also dann …
    Warte!
    Hab mich nicht bewegt.
    Ich gehe auf eine Auktion nächste Woche.
    Welche Kunst?
    Afrikanische Skulpturen.
    Du redest mit Leuten, die mit Holz arbeiten?
    Ich hoffe, du Metaller erträgst das.
    Muss ich mir überlegen. Aber … Wie kommt’s?
    Ein Freund. Ich helfe ihm.
    Bist du statt seiner dort?
    Bin ich.
    Dann pass auf!
    Warum?
    Kann schief gehen für einen Laien.
    Sagt er auch. Er trägt das Risiko.
    Guter Freund.
    Ja. Noch was …
    Ja?
    Schickst du mir Bilder aus deinem Atelier?
    Atelier, danke! Aus meiner Schweißerwerkstatt meinst du?
    Richtig. Am liebsten mit allen Metallsorten drauf, die du verwendest. Vielleicht ein paar Zeilen dazu.
    Fragst du den Sternekoch nach den Zutaten?
    Muss ich nicht, der kocht heutzutage im Fernsehen.
    (Sie ist cleverer als ich dachte.)
    Das hab ich gehört!
    O! Okay. Ich sende dir Bilder und ein paar Zeilen. Aber …
    Aber?
    Aber im Gegenzug …
    Ja?
    â€¦ überlegst du dir …
    Ja?
    â€¦ wo wir uns zum ersten Mal treffen könnten. Was ist der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Chinatown Chicago und Oranienburger Straße Berlin?
    Na, die Oranienburger Straße in Berlin natürlich.
    Klingt verlockend.
    Sag ich doch.
    Dann – süße Träume.
    Die sind jetzt garantiert. Wir sehen uns.
    Wir sehen uns.

    Seine Werkstatt lag in einem ehemaligen Lagerhaus in Chicagos Chinatown . Eine hellblaue Metalltreppe führte zu einer gelben Metalltür auf einer roten Ziegelwand. Der Gang zur Nummer 110 war von Graffitis flankiert.
    Cascone schickte nicht nur ein Foto, sondern eine ganze Wegbeschreibung. Allein anhand der Bilder hätte Rebekka sofort den Weg vom Flughafen O’Hare bis zu Cascones Atelier gefunden. Das Foto der Werkstatt selbst passte als Illustration in einen Charles-Dickens-Roman. Metalltische unter schummrigem Licht neben Waschbecken mit altmodischen Armaturen, einem Amboss und zahllosen, an der Wand aufgereihten Werkzeugen waren das Abbild der Welt, in der Cascone am liebsten war. Jenseits vom Trubel vor der Tür und jenseits des Ozeans, in sich und seine Arbeit versunken, hin und wieder von seinem Handy aus mit Rebekka chattend, und vielleicht ja nicht nur mit ihr.
    In Cascones Skulpturen sah Rebekka mehr als buntes, verbogenes Metall, was für sie als Laie eine enorme Bereicherung war. Sie war Cascone im Internet begegnet, als sie jenem Kunstfälscher auf der Spur war und sich in der Szene umgehört hatte.
    Andrew Cascone war einer der aufkommenden amerikanischen Künstler, die in der europäischen Kunstszene groß herauskamen, weil sie in Berlin groß herauskamen – der Stadt, die ausländische Maler und Bildhauer hofierte, als hätte sie keine eigenen, und die ihr Pflaster anbot wie eine Hure ihr Bett.
    Als einer der Ersten hatte sich Cascone mit Werkstatt, Büro und Galerie in einem ausgebombten Kaufhaus der Berliner Mitte niedergelassen, das in den 90er und 2000er Jahren als Kunsthaus Tacheles immer wieder für Schlagzeilen, Ärger, Ruhm, Spott und in jedem Fall genügend Presse sorgte. Cascone schien auf einer ständig befahrenen Luftbrücke zwischen Chinatown Chicago und Oranienburger Tor Berlin unterwegs zu sein und sein wertvolles Gut aus Menschen und Materialien hin und her zu transportieren. Es hatte ein Jahrzehnt und das Ende des Tacheles gebraucht, bis sich der Cascone-Trend gewinnbringend durchgesetzt hatte, aus dreckigem, scheinbar nutzlosem Metall Kunst und Gebrauchsgegenstände zu fertigen. Er hatte schließlich wie alle anderen das Tacheles verlassen müssen, war im Gegensatz zu seinen ehemaligen Mitstreitern jedoch in einer lichtdurchfluteten Fabriksetage der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg untergekommen und im dortigen Showroom besser präsentiert als je zuvor. Er lebte nach wie vor in Chicago und ließ seine Geschäfte in Berlin unter seinem Namen laufen.
    Rebekka war im Internet auf seinen Namen gestoßen, wo Cascone gerade eine virtuelle Community zu einer gemeinsamen Ausstellung zusammentrommelte. In seiner Onlinegalerie pachteten interessierte Künstler für ein paar Euro ihre gewünschte Fläche, die so real existierte wie das Internet selbst. Maler, Bildhauer und Fotografen von allen Kontinenten stellten in diesem gemeinsamen Raum aus, in dem sich wiederum virtuell neben Hunderttausenden von Gästen

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