Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
ausging, wurden länger, und mit Farîd und Nagwa traf er sich manchmal monatelang nicht und vernahm nicht einmal ihre Stimmen am Telefon; denn die Kosten für eine Wohnung, in der sie nach ihrer Heirat leben könnten, zwangen Farîd, an zwei verschiedenen Stellen zusammen zwölf Stunden am Tag zu arbeiten.
Obwohl Schâkir durchaus nicht auf den Kopf gefallen war, bemerkte er doch nicht, dass sich viele Dinge allmählich aus seinem Leben schlichen und verschwanden. Es mögen Gewohnheiten gewesen sein oder Standpunkte und Äusserungen. So kaufte er keine Blumen mehr bei den fliegenden Händlern auf der Strasse, und er gab die Gewohnheit auf, zur Zeit des Sonnenuntergangs am Fluss spazierenzugehen. Dann merkte er nicht einmal, dass die Festtage, die einst das Jahr gefüllt hatten, aus seinem Leben verschwanden. Ja, wenn er zufällig einmal in einem alten Terminkalender blätterte und »Fahnenfest« oder »Evakuationsfest« las, so seufzte er einfach kurz auf und suchte weiter nach der Adresse eines Arztes oder der Telefonnummer eines ehemaligen Arbeitskollegen. Auch die Gewohnheit, ins Kino zu gehen, wurde von einer neuen Gewohnheit Schâkirs und Sâmijas abgelöst – jeden Abend vor dem Fernseher zu sitzen und sich alles und jedes anzuschauen. Einmal, als sich die beiden gerade in jenem kleinen Gerät einen Film ansahen, sagte Sâmija zu Schâkir: »Ach je, dieselbe Szene hab ich vor langer Zeit in einem Film gesehen, erinnerst du dich?« Schâkir, der sich sehr für Kultur und besonders fürs Kino interessierte, erinnerte sich nicht an den Film, den Sâmija meinte, aber der Anlass rief in ihm schöne Erinnerungen an das Kino wach.
Das Ritual, anständig angezogen auszugehen, der höfliche Empfang durch den Platzanweiser, während die Parfümdüfte der Damen auf den Plätzen des ersten Ranges üppig im ganzen Saal umherwehten … Wenn er sich daran erinnerte, trug die Sehnsucht Schâkir weit in die Vergangenheit zurück, er rückte näher zu Sâmija und umarmte sie zärtlich, während durch seine Seele die Erinnerung an jenen Kuss zog, den sie vorzeiten nach dem Erlöschen der Lichter ausgetauscht hatten. Dann flüsterte er ihr zu: »Lass uns morgen ins Kino gehen!«
Aber sie gingen niemals.
Wenn nämlich das »Morgen« kam und sie nach dem Mittagessen ihren Tee tranken, schlug Sâmija die Zeitung auf und blätterte sie auf der Suche nach einem passablen Film unter all den angebotenen durch. Sie begann zu lesen und fand Titel wie »Stelldichein der Mörder«, »Der blutige Drachen«, »Die Lasterhöhle«, und schnell warf sie die Zeitung beiseite und schnaubte: »Scheissfilme.« Dann herrschte Schweigen, durch das hindurch man sie nur ihren Tee schlürfen hörte. Manchmal gab es einen passablen Film; dann sagte sie zu Schâkir: »Gehn wir in die Neunuhrvorstellung!« Doch er war dagegen und schlug vor, das Ganze auf den folgenden Tag zu verschieben und, statt zu später Stunde nach dem Kino auf den Bus zu warten, doch lieber die Vorstellung um drei Uhr nachmittags direkt nach Büroschluss zu besuchen. Dann lächelte Sâmija zustimmend und seufzte zufrieden. Doch ihre Zufriedenheit verging schnell, wenn Schâkir kurz danach rief : »Was sag ich denn? Morgen um vier Uhr kommt doch der Klempner, um das neue Rohr im Bad zu verlegen.« Oder: »Ach was, ich muss ja zurKooperative gehen und Fleisch besorgen, solange noch etwas da ist; morgen ist Donnerstag.« Mitunter kam der Einwand auch von Sâmija, und manchmal gab es weder Termine noch irgendwelche Hindernisse oder Besorgungen; es war nur einfach Monatsende.
So gingen die Tage dahin, und es erlosch der Elan fürs Kino, wie er für alle anderen ähnlichen Dinge erlosch.
»Ach, es ist so kalt draussen!« – »Das ist doch absurd! Rausgehen und eine Stunde auf öffentliche Verkehrsmittel warten?« – »Das ist doch absurd! Eine Eintrittskarte für eine Volkstanzgruppe um fünf Pfund!?« – »Die sollen das doch besser im Sheraton aufführen!« – »Ein Büchlein mit Kurzgeschichten um drei Pfund!« – »Früher, am Esbekîja-Park, da gab es zwanzig Bücher um zwei Pfund!«
Es war Schâkir, der immer wieder diesen Satz sagte; er trauerte den Buchhändlern am Esbekîja-Park nach. Denn der alte Eisenzaun, der den Park umschloss und an dem Buchhändler ihre Stände hatten, war Teil seiner Seele und seiner persönlichen Geschichte. Der Ort war ihm seit seinem Studium vertraut, als er von Zeit zu Zeit dorthin ging und in den Bücherstapeln nach einem guten
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