Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
Buch zu einem erschwinglichen Preis suchte, mit dem er den Abend verbringen und durch Wörter und Zeilen hindurch andere leuchtende Welten betreten könnte. Als er dann sein Studium abgeschlossen und eine Stelle bei der Regierung gefunden hatte, musste er an diesen Bücherständen zweimal am Tag – am Morgen und am Nachmittag – vorbeigehen, immer auf dem Weg von und zu seiner Wohnung, die unweit der Stadtmitte lag.
Obwohl Schâkir eigentlich noch recht jung war, hatte sichdoch alles Schöne rasch verwandelt und war zu Erinnerungen geworden, die ihm das immerwährende Gefühl aufluden, ein alter Mann zu sein, den die Last der Jahre niedergedrückt hat. Der Zaun des Esbekîja-Parks war eine dieser Erinnerungen, denn gegenüber stand das wundervolle weisse Opernhaus, und wer dort innehielt und in einem der vielen aufgeschichteten Bücher blätterte, konnte deutlich das Denkmal von Ibrahîm Pascha hoch zu Ross sehen, wodurch ein gewisses Gefühl Gestalt annahm, dass es eine Vergangenheit gibt und eine Geschichte, die sich durch die Zeit hindurch fortsetzt. Und obwohl sich hinter jenem Zaun die Esbekîja-Unterwelt aus Dieben, Bettlern, Zuhältern verbarg, dazu noch die Liebespaare ohne Zukunft, die hoffnungslose Leidenschaften pflegten und doch nichts anderes tun konnten, als händchenhaltend auf einer Steinbank zu sitzen – trotz alledem liebte ihn Schâkir, wie er auch sonst alles in dieser Stadt liebte, war er doch eine ihrer zahlreichen seltsamen, geheimnisvollen Erscheinungen, die sich einem erst dann erschliessen, wenn man in sie eindringt – in der Absicht, ihre Züge zu ertasten und in ihren Tiefen zu versinken; dann präsentieren sie unbescholten ihr Gesicht, strahlend mit all seinen Widersprüchen und seiner besonderen menschlichen Süsse.
Im selben Masse, wie sich die Bücher in den Ständen am Zaun des Esbekîja-Parks verringerten und durch ordinäre Bilder, dümmliche grellfarbige Fotos und allerlei andere Geschmacklosigkeiten ersetzt wurden, reduzierten sich auch die Bücher in Schâkirs Wohnung. Die Pfeile der Veränderung trafen sogar Zeitungen und Zeitschriften, denn »eine Zeitung pro Tag reicht doch«, und »eine Zeitschrift in derWoche ist durchaus vernünftig«. So schloss sich Schâkir im Laufe der Zeit den Tausenden von Lesern an, die an der Reduktion von Zeitungs- und Zeitschriftenauflagen in den letzten Jahren Schuld trugen. Seine Beziehung zum Kino und zum Theater dagegen brach fast völlig ab, während er mit unsichtbaren Fäden immer fester an einen einzigen Apparat namens »Fernseher« gebunden wurde.
Währenddessen entwickelte Schâkir allmählich ein kleines Bäuchlein. Sâmija ihrerseits wurde mächtig, ihr Körper unförmig und konturenlos. Wenn sie auf die Strasse ging, erschien sie dort – wie alle Welt um sie herum – mit staubigem Haar und schmutzigen, glanzlosen Schuhen. Irgendwann einmal begann sie dann, ihr Haar mit einem kleinen Tüchlein zu bedecken, aus dem schliesslich ein Umhängetuch wurde, das Kopf und Hals verhüllte. So breitete sich die Krankheit der langen Kleider und der Kopfbedeckung immer weiter aus, ganz wie sich im Jahre 1947 die Cholera ausgebreitet hatte. Als Schâkir Sâmija zum erstenmal in seinem Leben auf diese Weise bekleidet sah, wodurch das wahre Ausmass ihrer grossen Nase mitten in ihrem Gesicht deutlich wurde, sagte sie lachend zu ihm: »Das ist besser, als das Geld für das Schneiden und Legen der Haare hinauszuwerfen!«
Veranlasst durch die tägliche Fernsehwerbung, mühten Schâkir und Sâmija sich, einen Eisschrank anzuschaffen, einen Vierflammengasherd mit Backofen, eine Waschmaschine, einen Mixer und andere elektrische und nichtelektrische Apparaturen, »auf die der moderne Haushalt nicht verzichten kann«, wie die Werbung nicht müde wurde zu erklären. Ausserdem legten sie die ganze Wohnung mit Teppichbödenaus, was sie sehr viel Geld kostete. Doch dank der genauen Finanzpläne und dank der Gehaltsteilhabergenossenschaft mit den Kollegen auf dem Amt, durch die jedes Mitglied einmal im Jahr in den Genuss einer Ausschüttung kam, und darüber hinaus dank der Möglichkeit der Ratenzahlung – dank all dem konnte das vom Glück begünstigte Ehepaar sich viele Dinge leisten und ausserdem an seiner Wohnung bauliche Veränderungen vornehmen. So hielten sie es für besser, den Balkon durch Glaswände mit Metallrahmen abzuschliessen. Das hiess in Wirklichkeit: Leb wohl, Jasmin, leb wohl, Basilikum, und dasselbe galt auch für die kleine
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