Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
da ein Missverständnis. Was kümmert dich ein Junge aus dem Dschungel? Ich sag dir was: Leg die Waffen auf den Boden und wir lassen ihn in sein Dorf zurückgehen. Für alles andere finden wir ebenfalls eine Lösung.«
»Aus – dem – Weg!« Onkel Antonio richtet sein Gewehr auf ihn.
Timothy hebt die Hände, sein Gewehr zeigt zum Himmel. »Immer mit der Ruhe, mein Freund. Du erinnerst dich doch noch an all die Gefallen, die ich dir getan habe, nicht wahr? Die Zeitschriften, Karten, Funkgeräte? Wir machen doch schon seit Langem Geschäfte miteinander, nicht wahr? Und heute wieder. Leg das Gewehr weg. Wir machen einen Deal.«
»Ich mache dir folgenden Vorschlag.« Meine Worte überraschen beide. Ich trete vor unsere kleine Gruppe, schließlich können mir ihre Kugeln nicht anhaben. »Du gibst den Weg frei – und wirst nicht erschossen. Okay?«
»Was soll das, Pia, mein Kind?« Timothy schüttelt den Kopf. »Dass du dich mit diesem Verrückten zusammentust? Hat es dir denn niemand gesagt? Er ist schon seit Jahren geisteskrank.«
»Wenn er geisteskrank ist, bin ich es auch. Lass uns durch.«
»Tu, was sie sagt, Timothy.« Onkel Antonio schießt vor den Stiefelspitzen des Wachmanns in den Boden. Mit einem erschrockenen Schrei springt Timothy zurück. »Bitte«, fügt Onkel Antonio hinzu.
Sie setzen sich in Bewegung und in diesem Moment drückt Eio versehentlich ab. Die Kugeln zischen zwischen uns und den anderen in den Boden. Ich weiß nicht, wer mehr geschockt ist, Onkel Timothy oder Eio.
In der Menge bricht Panik aus. Alle schreien oder schießen um sich und ich werde von den fliehenden Wissenschaftlern mitgerissen, die dem Kugelhagel zu entkommen versuchen. Onkel Antonio und Eio laufen in die andere Richtung. Dabei entwischt ihnen Paolo. Niemand scheint mich zu beachten, als ich über den Haufen gerannt werde und in einem Gebüsch beim Eingang zum Laborblock A lande. Ich krieche dahinter und beobachte, wie alles, was kein Gewehr hat, flüchtet. Onkel Antonio und Eio laufen hinter das Maschinenhaus. Onkel Timothy befiehlt seinen Leuten, weiter auf sie zu schießen. Dann brüllt er plötzlich: »Wo ist Pia?«
Jemand zeigt in eine Richtung und Timothy und seine Männer stürmen davon. Ich richte mich hinter dem Busch auf und will zu Onkel Antonio und Eio laufen, sehe aber gerade noch, dass Paolo in meine Richtung kommt. Im letzten Moment stürme ich in den Laborblock und renne den Flur hinunter. Kurz bevor Paolo das Gebäude betritt, verschwinde ich hinter der ersten Tür. Voller Angst, dass er die Tür vielleicht noch zufallen sieht, kauere ich mich an der Wand auf den Boden und halte die Luft an.
Der Raum ist dunkel, aber ich weiß, dass es Onkel Wills Labor ist. Das Rascheln, das ich höre, muss von Babó kommen. Paolos Schritte gehen an meinem Versteck vorbei und ich stoße einen erleichterten Seufzer aus. Doch dann geht die Tür auf, jemand streckt den Kopf herein – und sieht mich.
Tante Harriet.
Lange schauen wir uns nur an, zuerst erschrocken, dann argwöhnisch. Sie hat dunkle Ringe unter den Augen und sieht aus, als hätte sie, seit sie das Labor verließ, die ganze Zeit nur geweint.
»Pia«, sagt sie vorsichtig.
»Harriet. Wirst du mich verraten? Noch einmal?«
Sie seufzt und schließt die Tür ab. Schließt die Tür ab! Super, Pia. Dass du daran nicht gedacht hast. Ich fasse es nicht!
»Warum hast du es getan?«, frage ich. Wir haben keine Zeit, aber dafür vielleicht schon. Vielleicht haben wir Zeit für die Wahrheit.
Langsam und unsicher beginnt sie: »Du hast mich einmal gefragt, was ich tun musste, um den Job zu bekommen.«
Ich nicke und warte.
Sie atmet tief durch, bevor sie fortfährt. »Es war ein Pferd. Eine schwarze Araberstute, das schönste Tier, das ich je gesehen habe. Ich weiß nicht, woher sie kam oder wie sie erfahren haben, dass ich von allen Lebewesen auf dieser Erde keines so sehr liebe wie Araberpferde. Victoria Strauss hat mich zu ihr geführt und mir eine Pistole in die Hand gedrückt. Wenn ich abdrücke, gehört der Job mir, sagte sie.« Sie schaut auf ihre Hände. »Unter keinen anderen Umständen hätte ich es getan. Aber…« Mit einem Seufzer zieht sie etwas aus ihrer Tasche. Es ist das Foto, über dem sie gestern weinte, als ich sie sah. Sie gibt es mir.
»Ich habe dich angelogen, Pia. Evie ist keine Kollegin. Sie ist meine kleine Schwester.«
Das Mädchen auf dem Foto ist nicht viel älter als ich. Sie sitzt lächelnd in einem Rollstuhl. Harriet steht
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