Die einzige Wahrheit
Ihnen abgewandt. Aber der Typ mit dem Toupet war nur damit beschäftigt, einen Faden aus seinem Blazerärmel zu ziehen, und ich bin sicher, daß er kein Wort mitgekriegt hat.«
»Trotzdem … ist es gut gelaufen?«
»Sie sind der erste Zeuge«, sagte Ellie sanft. »Ich würde sagen, wir warten einfach ab.«
Er nickte. »Kann ich mit Katie unten eine Tasse Kaffee trinken gehen?«
»Nein. Sobald sie diesen Raum verläßt, stürzt die Presse sich auf sie. Wenn sie Kaffee möchte, holen Sie ihr doch eine Tasse.«
Kaum war er gegangen, wandte Ellie sich an Katie. »Hast du gesehen, was George Callahan mit Jacob im Zeugenstand veranstaltet hat?«
»Er hat versucht, ihn aus der Fassung zu bringen –«
»Kannst du dir vorstellen, was er alles mit dir anstellen wird?«
Katie setzte eine entschlossene Miene auf. »Ich werde meine Angelegenheiten in Ordnung bringen, koste es, was es wolle.«
»Ich kann mehr für dich tun, wenn ich dich nicht in den Zeugenstand rufe, Katie.«
»Wieso? Nach dem ganzen Gerede über die Wahrheit, sollten die Geschworenen sie da nicht von mir hören?«
Ellie seufzte. »Ich habe nichts davon gesagt, daß ich ihnen die Wahrheit erzählen werde!«
»Doch, hast du, in deiner Eröffnungsrede –«
»Das ist Theater, Katie. Als Anwalt muß man ein oscarverdächtiger Schauspieler sein. Ich werde den Geschworenen eine Geschichte erzählen, mehr nicht, und mit etwas Glück gefällt sie ihnen besser als die, die George ihnen erzählt.«
»Du hast gesagt, ich dürfte ihnen die Wahrheit sagen.«
»Ich habe gesagt, ich würde nicht auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Du hast gesagt, du würdest die Wahrheit sagen. Und wenn du dich richtig erinnerst, habe ich nur gesagt, daß wir sehen würden, was wir machen könnten.« Sie sah Katie in die Augen. »Wenn du in den Zeugenstand trittst, wird George dich auseinandernehmen. Das hier ist eine englische Welt, ein englisches Gericht, eine englische Mordanklage. Du gewinnst nicht, wenn du nach amischen Regeln spielst.«
»Du hast eine amische Mandantin, die amisch aufgewachsen ist und amisch denkt. Die englischen Regeln gelten bei mir nicht«, sagte Katie leise. »Also, wie geht’s weiter?«
»Hör einfach zu, was der Staatsanwalt macht und sagt, Katie. Bis zu dem Augenblick, wo du in den Zeugenstand sollst, kannst du deine Meinung noch ändern.« Ellie sah ihre Mandantin eindringlich an. »Selbst wenn du vor Gericht kein Wort sagst, kann ich gewinnen.«
»Wenn ich vor Gericht kein Wort sage, Ellie, dann bin ich die Lügnerin, als die Mr. Callahan mich bezeichnet hat.«
Frustriert wandte Ellie sich ab. Was für ein Dilemma: Katie, die von Ellie erwartete, daß sie den Fall auf dem Altar religiöser Aufrichtigkeit opferte; Ellie, die wußte, daß Aufrichtigkeit im Gerichtssaal nichts zu suchen hatte. Es war, als würde sie ein Auto in einem Eissturm steuern. Sie konnte sich ihrer Fähigkeiten noch so sicher sein, es waren noch andere auf der Straße unterwegs, die an ihr vorbeibrausten, Überholverbote mißachteten, Unfälle verursachten.
Aber andererseits hatte Katie nie ein Auto gefahren.
»Dir geht’s nicht gut, was?«
Beim Klang von Coops Stimme hob Ellie den Kopf. »Doch, mir geht’s gut, danke.«
»Du siehst schrecklich aus.«
Sie verzog das Gesicht. »Mann, ich wette, du mußt dir die Frauen mit einem Stock vom Leibe halten.«
Er ging neben ihr in die Hocke. »Ich meine es ernst, Ellie«, sagte er mit leiserer Stimme. »Ich habe jetzt ein persönliches Interesse daran, daß es dir gutgeht. Und wenn dieser Prozeß zuviel für dich ist –«
»Herrgott, Coop, früher haben die Frauen ihre Kinder auf den Feldern gekriegt und danach weiter Mais gepflückt –«
»Baumwolle.«
»Was?«
Er zuckte die Achseln. »Sie haben Baumwolle gepflückt.«
Ellie blickte ihn verwundert an. »Warst du dabei?«
»Ich wollte nur etwas richtigstellen.«
»Schön. Bravo. Jetzt werde ich etwas richtigstellen: Es geht mir gut. Hundertprozentig. Ich kann diesen Prozeß gewinnen; ich kann unser Baby zur Welt bringen; ich kann alles.« Erschrocken merkte Ellie, daß ihr gleich die Tränen kamen. »Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, ich möchte bloß eben den Krieg in Bosnien beenden und das Hungerproblem in ein paar Dritte-Welt-Ländern lösen, bevor das Gericht wieder zusammentritt.« Sie stand auf und schob sich an Coop vorbei.
Er starrte Ellie nach, sank dann auf den Stuhl, den sie verlassen hatte. Katie kratzte mit dem Daumennagel über das
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