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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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weiter lernen wollte. Ich habe es für seinen eigenen Seelenfrieden getan –«
    »Wußte Ihr Vater, daß Sie auf dem Heuboden Shakespeare gelesen haben?«
    »Nein, das nicht, ich –«
    »Ach, nun kommen Sie schon, Mr. Fisher. Was ist eine Lüge? Etwas verheimlichen? Nicht ehrlich sein? Lügen durch Verschweigen? Na, klingelt’s bei Ihnen?«
    »Einspruch.« Ellie war aufgestanden. »Der Zeuge wird bedrängt.«
    »Stattgegeben. Zügeln Sie sich bitte, Mr. Callahan«, mahnte Richterin Ledbetter.
    »Wenn es keine Lüge war, was war es dann?« formulierte George die Frage neu.
    Ein Muskel in Jacobs Wange zuckte. »Mir blieb nichts anderes übrig, um studieren zu können.«
    Georges Augen erhellten sich. »Ihnen blieb nichts anderes übrig. Und vorhin haben Sie etwas Ähnliches über ihre Schwester, die Angeklagte, gesagt; Sie haben gesagt, sie hat getan, was getan werden muß. Würden Sie sagen, das ist ein amischer Charakterzug?«
    Jacob zögerte, hielt nach der Falle Ausschau, die hinter den Worten lauerte. »Die Amischen sind sehr praktische Menschen. Sie klagen nicht, sie erledigen einfach, was erledigt werden muß.«
    »Sie meinen zum Beispiel, die Kühe müssen gemolken werden, also steht man vor Tagesanbruch auf und macht es?«
    »Ja.«
    »Das Heu muß geschnitten werden, bevor der Regen kommt, also arbeitet man bis zum Umfallen?«
    »Genau.«
    »Das Baby ist unehelich, also ermordet man es und schafft es beiseite, bevor irgend jemand merkt, daß man einen Fehler begangen hat?«
    »Nein«, sagte Jacob wütend. »Absolut nicht.«
    »Mr. Fisher, trifft es nicht zu, daß die frommen Amischen in Wahrheit nicht besser sind als irgend jemand von uns – anfällig für die gleichen Fehler?«
    »Die Amischen wollen gar keine Heiligen sein. Sie sind ganz normale Menschen. Nur mit dem Unterschied, daß sie versuchen, ein ruhiges, friedliches christliches Leben zu führen … während die meisten von uns« – er blickte den Staatsanwalt vielsagend an – »bereits auf direktem Weg zur Hölle sind.«
    »Wollen Sie uns wirklich weismachen, daß jemand, der unter den Amischen aufwächst, außerstande ist, auch nur an Gewalt oder Rache oder Betrügerei zu denken?«
    »Mag sein, daß auch die Amischen solche Gedanken hegen, Sir, aber selten. Und sie setzen sie nie in die Tat um. Das widerspräche schlicht ihrem Wesen.«
    »Ein Kaninchen nagt sich das Bein ab, wenn es in einer Falle steckt, Mr. Fisher, obwohl es kein Fleischfresser ist. Und obwohl Sie amisch aufgewachsen sind, haben Sie ohne weiteres gelogen, als Sie beschlossen, aufs College zu gehen, stimmt’s?«
    »Ich habe es meinen Eltern verschwiegen, weil ich keine Wahl hatte«, sagte Jacob gepreßt.
    »Man hat immer eine Wahl. Sie hätten amisch bleiben können, statt aufs College zu gehen. Sie entschieden sich für das, was Ihr Vater Ihnen übrigließ – keine Familie –, um Ihre egoistischen Wünsche zu erfüllen. Das stimmt doch, Mr. Fisher?«
    Jacob schlug die Augen nieder. Er fühlte die gleiche Welle des Zweifels über sich hinwegrollen, mit der er monatelang zu kämpfen gehabt hatte, nachdem er aus East Paradise fortgegangen war; die Welle, von der er einst geglaubt hatte, daß er darin ertrinken würde. »Es stimmt«, antwortete er leise.
    Er spürte Ellie Hathaways Augen auf sich, hörte, wie ihre Stimme ihn lautlos daran erinnerte, daß es bei allem, was der Staatsanwalt tat, um Katie ging und nicht um ihn. Entschlossen hob er das Kinn und erwiderte George Callahans Blick.
    »Katie lügt ihren Vater seit sechs Jahren an?«
    »Sie lügt nicht.«
    »Hat Sie ihrem Vater gesagt, daß sie Sie besucht?«
    »Nein.«
    »Hat sie ihrem Vater gesagt, daß sie bei ihrer Tante übernachtet?«
    »Ja.«
    »Hat sie bei ihrer Tante übernachtet?«
    »Nein.«
    »Und das ist keine Lüge?«
    »Es ist … eine Fehlinformation.«
    George schnaubte verächtlich. »Fehlinformation? Das ist ja ganz was Neues. Nennen Sie es, wie Sie möchten, Mr. Fisher. Die Angeklagte hat ihren Vater also fehlinformiert . Ich nehme an, sie hat auch Sie fehlinformiert ?«
    »Niemals.«
    »Nein? Hat Sie Ihnen erzählt, daß sie eine sexuelle Beziehung hatte?«
    »So etwas würde sie –«
    »Hat sie Ihnen erzählt, daß sie schwanger war?«
    »Ich habe nicht gefragt. Ich bin nicht sicher, ob sie es sich selbst eingestanden hat.«
    George zog die Stirn kraus. »Sind Sie jetzt auf einmal der sachverständige Psychologe?«
    »Ich bin sachverständig, was meine Schwester angeht.«
    Der Anwalt

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