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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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machte mit einem Achselzucken deutlich, was er davon hielt. »Kommen wir auf diese destruktiven amischen Jugendbanden zu sprechen. Die Gang Ihrer Schwester zählte zu den wilderen?«
    Jacob lachte. »Hören Sie, es sind Cliquen und keine wilden Jugendbanden mit Straßenschlachten und Revierkämpfen. Genau wie englische Teenager sind amische Jugendliche gute Jugendliche. Eine amische Clique ist nichts anderes als eine Gruppe von Freunden. Katie war bei den Sparkies.«
    »Sparkies?«
    »Ja. Die sind nicht besonders brav, aber sie zählen ganz sicher nicht zu den destruktiven Banden, wie Sie es ausgedrückt haben. Mit denen hätte sich Katie niemals eingelassen.«
    »Ist Ihre Schwester noch immer in einer Clique?«
    »Strenggenommen könnte sie an deren Treffen teilnehmen, bis sie verheiratet ist. Aber die meisten jungen Leute gehen nicht mehr hin, sobald sie getauft sind.«
    »Weil sie dann keinen Alkohol mehr trinken oder tanzen oder ins Kino gehen dürfen?«
    »Genau. Vor der Taufe hält man sich nicht so streng an die Regeln, und das wird geduldet. Nach der Taufe hat man sich für seinen Weg entschieden und sollte sich auch konsequent daran halten.«
    »Hat Katie zum ersten Mal Bier getrunken, als sie bei Ihnen zu Besuch war?«
    Jacob nickte. »Ja. Auf einer Studentenfete, auf die ich mit ihr zusammen gegangen bin. Aber diese Erfahrung hätte sie genausogut auch in ihrer Clique machen können.«
    »War das nach den amischen Regeln erlaubt?«
    »Ja, weil sie noch nicht getauft war.«
    »Ist sie mit Ihnen auch ins Kino gegangen?«
    »Ja.«
    »Und das hätte sie auch mit ihrer Clique machen können?«
    »Das ist richtig«, antwortete Jacob.
    »Und es hätte nicht gegen die Gemeinderegeln verstoßen.«
    »So ist es, weil sie nicht getauft war.«
    »Was ist mit Tanzen? Haben Sie sie mal mit zum Tanzen genommen?«
    »Ein- oder zweimal.«
    »Aber es kommt auch schon mal vor, daß in Cliquen getanzt wird.«
    »Ja.«
    »Und auch das verstößt nicht gegen die Gemeinderegeln.«
    »Richtig. Wie gesagt, sie war noch nicht getauft.«
    »Das hört sich so an, als könnte man sich ordentlich die Hörner abstoßen, bevor es ernst wird«, sagte George.
    »Das ist der Sinn der Sache.«
    »Wann ist Ihre Schwester getauft worden?« fragte George.
    »Im September letzten Jahres.«
    Der Staatsanwalt nickte nachdenklich. »Dann wurde sie also schwanger, als sie schon getauft war. Und es verstößt auch nicht gegen die Glaubensregeln, wenn man Geschlechtsverkehr hat und ein uneheliches Kind bekommt?«
    Jacob schwieg und wurde rot.
    »Ich hätte gern eine Antwort.«
    »Doch, das wäre ein Verstoß.«
    »Ach so. Weil sie ja bereits getauft war?«
    »Unter anderem«, sagte Jacob.
    »Lassen Sie mich also zusammenfassen«, sagte George. »Die Angeklagte hat ihren Vater belogen, sie hat Sie belogen, sie wurde unverheiratet schwanger, nachdem sie das Taufgelübde abgelegt hatte – ist das die Wahrheit über Ihre Schwester, die Sie den Geschworenen verständlich machen wollten?«
    »Nein!«
    »Ist das das ›harmlose, gute‹ Mädchen, als das Sie Ihre Schwester bezeichnet haben? Es geht hier also um ein Mädchen, das wahrlich auf dem Pfad der Tugend wandelt, was, Mr. Fisher?«
    »Allerdings«, antwortete Jacob verbissen. »Sie verstehen das nicht.«
    »Und ob ich das verstehe. Sie selbst haben das weitaus eloquenter geschildert, als ich es je könnte.« George ging zur Gerichtsschreiberin und deutete auf eine Stelle in der Prozeßmitschrift. »Würden Sie mir das bitte noch einmal vorlesen?«
    Die Frau nickte. »Für Amische ist die Familie alles.«
    George lächelte. »Keine weiteren Fragen.«
    Nach Jacobs Aussage unterbrach Richterin Ledbetter die Sitzung für eine Kaffeepause. Die Geschworenen gingen im Gänsemarsch hinaus, ihre Blöcke und Stifte in der Hand, und wichen Ellies Blick geflissentlich aus. Jacob sprang auf, ging zu Katie und ergriff ihre Hände. Er legte seine Stirn an ihre und flüsterte ihr etwas auf Deitsch zu, was sie leise auflachen ließ.
    Dann wandte er sich an Ellie. »Und?«
    »Sie haben Ihre Sache gut gemacht«, sagte sie, mit einem angestrengten Lächeln.
    Das schien ihn zu entspannen. »Sind die Geschworenen auch dieser Meinung?«
    »Jacob, darüber, was in den Köpfen von amerikanischen Geschworenen vor sich geht, mache ich mir schon längst keine Gedanken mehr. Das Verhalten von Menschen ist einfach nicht durchschaubar. Die Frau mit den blauen Haaren, die hat die ganze Zeit nicht ein einziges Mal den Blick von

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