Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
Vom Netzwerk:
anzusehen. Also, falls du das willst. Vielleicht hilft das ja …«
    »An der nächsten Ecke rechts«, sagte sie.
    »Mein Vater war früher Sozialarbeiter. Er hat gesagt, dass es manchmal wie eine Katharsis wirkt, den Ort eines Verbrechens noch einmal aufzusuchen.«
    »Katharsis? Was soll das denn heißen?«, fragte sie scherzhaft, obwohl sie die Bedeutung kannte.
    »Die Erlösung von verstörenden Gefühlen«, sagte er, als hätte er die Definition aus dem Wörterbuch auswendig gelernt.
    »Du kannst hier halten.«
    Der Wagen blieb stehen.
    »Es ist sehr nett von deinen Eltern, dass sie sich Sorgen machen. Aber ich habe keine verstörenden Gefühle wegen dem Haus, deinem Haus. Ich war letzte Woche nur geschockt, den alten Artikel auf deinem Computer zu sehen. Ich habe damals nichts davon mitbekommen. Es ist zehn Jahre her. Ich habe die Sache verarbeitet.«
    Sie öffnete die Tür.
    »Sehen wir uns wieder?«, fragte er.
    »Ich habe gerade so viel mit meinen Prüfungen zu tun. Ich rufe dich an, okay? Ich habe ja deine Nummer.«
    Sie warf die Tür zu und drehte sich um. Sie hörte, wie er aus dem Auto stieg.
    »Weißt du, was man über Meerjungfrauen sagt?«, rief er ihr nach.
    Sie drehte sich um.
    »Dass Sterbliche sich nicht mit ihnen einlassen sollen.«
    »Hast du das aus dem Internet?«
    Er nickte.
    »Ich rufe dich an«, sagte sie.

    Am nächsten Tag reiste Jessica ab. Der Tragekorb für die Katzen stand bereit, und der Transporter war gemietet und beladen. Sie wanderte ein letztes Mal durchs Haus und schaute in Schubladen und Schränken nach, ob sie auch nichts vergessen hatte. Sie kam zu Lauren ins Zimmer und hielt ein T-Shirt von Donny in der Hand.
    »Das habe ich unterm Sofa gefunden. Da sieht man mal, wie gut ich da geputzt habe«, sagte sie und setzte sich zu Lauren aufs Bett.
    »Das ist ja uralt.«
    Jessica gab es ihr. Vorne war ein kursiver Schriftzug. Das Wort Florida war schon sehr verblasst. Donny war noch nie in Florida gewesen, er hatte das Shirt auf dem Flohmarkt gekauft. Es erinnerte Lauren an das Shirt, das Nathan getragen hatte, als sie ihm das erste Mal in der Hazelwood Road begegnet war. Das Wort Cuba stand groß und breit auf der Brust, obwohl er selbst nie da gewesen war.
    »Ich lasse es hier, du kannst es als Staubtuch nehmen«, sagte Jessica und legte es auf die Decke.
    Lauren nahm es in die Hand. Jessica schaute sich im Zimmer um und betrachtete einige Skizzen, die Lauren an die Wand gepinnt hatte.
    »Puppenhäuser«, sagte sie.
    »Was ist damit?«
    »Deine Mutter hat das alte Puppenhaus geliebt. Es war ihr Ein und Alles.«
    Im Zimmer war es still. Lauren wusste nicht, was sie sagen sollte. Jessica redete nie über ihre Mutter oder über die Zeit in der Hazelwood Road.
    »Sie wollte immer, dass ich auch damit spiele. Aber ich fand es irgendwie gruselig.«
    »Ich habe es geliebt, damit zu spielen«, sagte Lauren.
    »Als ich noch klein war, fünf oder sechs, und sie schon fast erwachsen, etwa so alt wie du jetzt, hat sie sich immer kleine Spiele ausgedacht. Sie sagte, Heute machen wir Frühjahrsputz im Schlafzimmer oder Heute backen wir Kuchen für die ganze Familie . Oder sie versteckte irgendwo ein Geldstück, unter einem Tisch oder hinter einer Puppe, und ich sollte es finden. Wie Verstecken spielen. Ich glaube, sie wollte mein Interesse daran wecken.«
    Jessica schwieg einen Moment. Lauren spürte, dass sie immer noch ihren Erinnerungen nachhing. Sie sagte nichts, sie wollte, dass Jessica weiter über ihre Mutter redete.
    »Sie hat mir immer kleine Botschaften geschrieben. Wenn ich aus der Schule kam, sagte sie zu mir, Der Postbote hat einen Brief für dich im Puppenhaus abgegeben . Dann bin ich nach oben in ihr Zimmer gegangen, habe die vordere Front von dem alten Ding aufgeklappt, und dann war da irgendwo, zwischen einen Stuhl und einem Tisch eingeklemmt, ein winzig kleiner Brief an Miss Jessica Ashe . Das alles hat sie nur gemacht, damit ich das Puppenhaus mochte. Dann hat sie eines Tages damit aufgehört. Sie hat wohl eingesehen, dass ich einfach nicht damit spielen wollte.«
    »Was habt ihr dann gemacht?«
    »Sie ist mit mir Fahrrad fahren gegangen. Das fand ich viel lustiger, als mit dem alten Trödel zu spielen.«
    Jessica schaute auf das T-Shirt in Laurens Händen. Sie nahm einen Zipfel und zog sachte daran.
    »Alles verändert sich, alles geht weiter. Wie dieses Haus. Unser kleines Häuschen. Ist ja selbst nicht viel größer als ein Puppenhaus. Ich dachte, wir würden hier ein

Weitere Kostenlose Bücher