Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
Vom Netzwerk:
sie.
    »Ich habe dir Angst gemacht. Ich hätte die Datei nicht offen lassen sollen. Dieses Haus hat eine dunkle Vergangenheit. Ich wollte gar nicht darüber reden. Ich meine, man erzählt seinen Gästen doch nicht, was vor Jahren Schreckliches in seinem Haus passiert ist. Ich wollte den Artikel noch schließen, aber dann habe ich aus dem Fenster geschaut. Als ich dich gesehen habe, bin ich sofort runtergelaufen, um dich reinzulassen.«
    Sie starrte ihn mit unbewegtem Gesicht an.
    »Dieses Haus – meine Eltern haben es bei einer Auktion ersteigert – hat eine schreckliche Geschichte. Es hat hier einen Mord gegeben. Deswegen wurden danach auch einzelne Wohnungen daraus gemacht. Meine Eltern haben mir in einer E-Mail davon erzählt, als ich auf der Reise war. Sie wollten vorher klären, ob es in Ordnung für mich ist, wenn wir in ein Haus ziehen, in dem etwas Schlimmes geschehen ist.«
    »Und ist es in Ordnung?«
    »Ja. Ich meine, ich wünschte, es wäre nicht passiert, aber ich habe kein Problem damit, hier zu wohnen. Also, vielleicht sollte ich dir nicht mehr davon erzählen. Es ist nicht sehr appetitlich. Aber es ist auch nicht hier passiert, nicht in diesem Zimmer. Es war unten im Schlafzimmer.«
    Das wusste sie. Das wusste sie besser als er.
    »Ein Mann hat seine Familie hier umgebracht. Meine Eltern können damit leben.«
    »Ich muss jetzt wirklich los«, sagte sie, schob den Stuhl zurück und stand auf. »Es wird spät.«
    »Es ist eine schreckliche Geschichte. Ich hätte dir nichts davon sagen sollen. Aber es war vor zehn Jahren. In allen Häusern sterben Menschen.«
    »Ich verstehe nur nicht, warum du dazu recherchierst.«
    »Ich muss wissen, was hier passiert ist, damit ich mich damit auseinandersetzen kann. Wenn ich das Gefühl habe, dass etwas ungeklärt ist, fühle ich mich nicht wohl.«
    Sie nickte. Das klang nach einer vernünftigen Herangehensweise. Wie einfach das für ihn war.
    »Es tut mir leid. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist nun mal die Geschichte dieses Hauses. Wahrscheinlich denke ich, je offener ich damit umgehe, desto weniger schrecklich ist es.«
    »Ich muss jetzt los.«
    Sekunden später lief sie die enge Treppe hinunter. Sie hörte, dass er ihr folgte. Wenigstens jetzt hielt er den Mund. Auf dem Treppenabsatz blieb sie kurz stehen und zog sich ihre Jacke über, obwohl es immer noch nicht kalt war. Sie schloss die Knöpfe bis zum Hals, während sie auf die Schlafzimmertür ihrer Eltern schaute. Sie war weiß. Als sie hier gewohnt hatte, war sie aus Holz gewesen, da war sie sicher. Überhaupt erinnerte sie sich jetzt daran, dass überall unbehandeltes Holz gewesen war. Ihr Vater mochte es, wenn alles natürlich aussah.
    Nathan stand hinter ihr.
    »Meine Eltern haben mir davon erzählt, bevor sie auf das Haus geboten haben. Sie hatten Angst, dass ich mich hier nicht wohl fühle. Aber, weißt du, so ist das nun mal. Jedes Haus hat seine Geschichte. Geburt, Tod, Glück, Trauer.«
    »Ich muss jetzt nach Hause. Meiner Tante geht es nicht gut«, sagte sie und lief die Treppen ins Erdgeschoss hinunter.
    Sofort waren die Hunde bei ihr, wedelten einträchtig mit dem Schwanz und ließen die Zunge heraushängen. Sie strich ihnen über den Kopf und lief dann durch die Tür nach draußen. Aus der Küche hörte sie Jazzmusik.
    »Kommst du wieder? Nein, blöde Frage. Jetzt bestimmt nicht mehr, nachdem ich dir diese Schauergeschichte erzählt habe.«
    Sie hörte ein Piepen und holte ihr Handy aus der Tasche. Jessica stand auf dem Display.
    »Hey«, sagte Nathan und sah plötzlich nervös und besorgt aus. »Gibst du mir wenigstens deine Handynummer?«
    Mit den kurzen Haaren wirkte er älter, nicht mehr so jungenhaft. Er tat ihr leid. Er konnte es ja nicht wissen. Sie gab ihm ihr Handy. Er nahm es feierlich und tippte seine Nummer ein. Dann gab er es ihr zurück.
    »Weißt du, wer die Opfer waren?«, fragte sie.
    »Zwei Menschen. Eine Frau und ihr Baby. Ihr anderes Kind hat überlebt.«
    Sie nickte.
    »Rufst du mich an?«
    »Vielleicht«, sagte sie.
    Sie drehte sich um, lief an der Mülltonne vorbei und trat auf die Straße.
    Ich muss wissen, was hier passiert ist, hatte er gesagt. Wollte er wirklich wissen, was in diesem Haus passiert war?
    Eines Morgens, als sie sieben Jahre alt war, erwachte sie im Bett ihrer Mutter. Neben ihr lag Daisy. Sie war tot. Auf der anderen Seite des Zimmers, in dem engen Spalt zwischen dem riesigen Kleiderschrank und der Kommode, war ihre Mutter. Sie war blasser

Weitere Kostenlose Bücher